Wie Firmen mit armen Schwarzen mit Bleivergiftung Millionen machen
von Terence McCoy, übersetzt von Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.
BALTIMORE — Der Brief kam im April an: ein Mischmasch aus komischen Zahlen und Worten. Das Ganze allarmierte Rose zu Beginn gar nicht. Die meisten ihrer Briefe sind nichts anderes als frustrierende und für sie unlösbare Puzzles. Rose, die schlecht lesen und schreiben kann, spricht von sich als von einem „Bleikind“. Das Haus ihrer Kindheit, wo die Bleifarbeteilchen ihre Betttücher bedeckten wie Schneeflocken, „traf mich wirklich hart“, meint sie, „in allem, was ich tue.“
Rose, die weder schreiben noch lesen kann, hätte ihr Leben eigentlich in den Griff bekommen sollen, nachdem sie ihre Klage gegen ihren vorherigen Vermieter gewann und eine größere Wohnung erhielt. Hier sieht man sie in ihrer Wohnung in Baltimore. (Amanda Voisard für die Washington Post)
Sie erzählt von ihrer Arbeitsunfähigkeit und ihrer Unfähigkeit, alleine zu leben. Sie berichtet auch, dass sie diesen Brief mit Sicherheit nicht verstehen könnte.
So bat die Zwanzigjährige an jenem Apriltag ihre Mutter, einen Blick auf das Schreiben zu werfen. Ihre Mutter sah sich den Brief an und kam dann erneut mit diesen Worten auf ihre Tochter zurück: „Was heißt das, dass alle deine Zahlungen an eine Drittpartei verkauft wurden?“
Die verzweifelte Frau berichtete, wie sich der von ihrer Versicherungsgesellschaft verfasste Brief auf die Bleischecks von Rose bezog. Die Familie hatte im Jahre 2007 wegen der Bleifarbe eine Klage gegen einen Slumvermieter von Baltimore erhoben. Das Versicherungsunternehmen sicherte nun Rose einen monatlichen Scheck in Höhe von fast $1.000 mit einer jährlichen Zunahme zu. Jene Zahlungen waren über einen Zeitraum von 35 Jahren garantiert.
„Wurde es verkauft?“ fragte Rose, während die Erinnerungen bald aufblitzten.
Sie erinnerte sich an einen netten, weißen Mann. Er hatte sie einmal einige Monate, nachdem sie mit einem Durchschnitt von „genügend“ gerade noch die Oberschule geschafft hatte, angerufen. Er hieß Brendan, hatte aber nie seinen Familiennamen genannt. Er teilte ihr mit, sie könnte schnelles Geld machen. Er erzählte ihr, dass er für eine Firma vor Ort, die Access Funding, tätig war. Er würde freundschaftlich zu ihr sprechen.
Rose, die den Gerichtsakten zufolge unter einem „irreversiblem Hirnschaden“ leidet, hatte nicht viele Freunde. Sie vertraute auch nicht vielen. Sie war in der North Avenue in West Baltimore aufgewachsen und hatte auch schon Morde gesehen.
Aber Brendan war anders. Er bezahlte ihr ein tolles Essen im Longhorn Steakhouse, wie sie erzählte, und sicherte ihr einen Urlaub für die Familie zu. Er kam ihr vor wie ein vertrauenswürdiger Gentleman.
Einen Tag später kam ein Notar zu ihr nach Hause und händigte ihr einen „Kaufvertrag“ von 12 Seiten aus. Rose war alleine. Aber sie war nicht beunruhigt. Sie hatte mit einem Anwalt namens Charles E. Smith am Telefon über den Vertrag gesprochen. Sie vertraute dem Inhalt des Vertrages. Sie verkaufte einige zukünftige Schecks gegen schnelles Geld, richtig?
Die Sache gestaltete sich aber völlig anders. Rose verkaufte alles an Access Funding — 420 monatliche Bleischecks zwischen 2017 und 2052. Sie betrugen insgesamt ungefähr574.000 $ und hatten einen derzeitigen Wert in Höhe von ungefähr 338.000 $.
Für all dies zahlte ihr Access Funding nicht mal 63.000 $.
Rose hätte 573.615 $ in 420 Monatsraten bis 2052 erhalten sollen. Sie verkaufte dieses Zahlungsversprechen für eine Summe von 62.637 $ an Access Funding
‘Sie fallen durch die Maschen’
Rose, die unter der Voraussetzung, dass ihr vollständiger Name nicht genannt wurde, mit Washington Post sprach, war gerade in die unauffällige, in der Tat ungeregelte Unterwelt strukturierter Abfindungen geraten.
Die traditionellen Abfindungen erfolgen in Form einer sofortigen Pauschalzahlung. Aber diese strukturierten Abfindungen (structured settlements) sehen oft monatliche Barzahlungen über Jahrzehnte vor, um zu vermeiden, dass anfällige Empfänger das Geld sofort ausgeben. Seit 1975 haben Versicherungsunternehmen einen geschätzten Betrag in Höhe von 350 Milliarden $ in strukturierte Abfindungen investiert. Dadurch entstand ein Parallelmarkt, in dem Dutzende von Firmen miteinander konkurrieren, um die Rechte auf jene Zahlungen gegen einen Anteil des wahren Wertes zu erwerben.
Was in diesen Deals passiert, hängt ganz von der Sichtweise ab. Für die Befürworter der Branche verschaffen die Transaktionen bedürftigen Menschen eine sofortige Geldquelle. Sie schützen verzweifelte Familien vor der Obdachlosigkeit, zahlen die Arztrechnungen und finanzieren die Schule der Kinder.
„Was wir tun: wir stellen jenen Menschen Kapital zur Verfügung, um Wohnungen zu kaufen“, so der Geschäftsführer von Access Funding, Michael Borkowski. Er meinte, dass Rose seiner Organisation keinen Anlass zur Vermutung gegeben hätte, geistig behindert zu sein. Wie er betonte, verfügte sie über einen Oberschulabschluss, hatte einen Führerschein und schriftliche Dokumente auf ihren Namen. Laut seiner Aussage verfügt Access Funding über keine Angabe, aus der hervorgeht, dass Brendam, den er als „absolut professionell“ bezeichnete, Rose zum Essen ausführte. Und er wies auch zurück, dass man ihr einen Urlaub versprochen hatte. „Wir versuchen einfach, Menschen zu besseren Ergebnissen zu führen“, setzte Borkowski fort. „. . . Wir versuchen wirklich, die besten Deals für die Menschen zu verhandeln.“
Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass Access Funding Teil eines Gewerbes ist, das Arme und Behinderte ausnutzt. Und Baltimore war ein erstes Ziel. Gerade hier verkaufte, den Gerichtsakten zufolge, eine junge Frau, der eine „leichte geistige Zurückgebliebenheit diagnostiziert wurde“, die Zahlungen bis 2030 in vier Deals und ist nun obdachlos. In dieser Stadt verkleben die Gesellschaften bestimmte Viertel mit Werbungen. Hier suchen sie nach einem potentiellen lukrativen Einwohnertyp, dessen Geschichte an das Erbe von Freddie Gray erinnert.
Vor seinem Tod im April, während er sich in polizeilicher Gewahrsam befand, bevor die ausgehöhlte Stadt in Unruhen stürzte, war der Fall Freddie Gray
Ein Familienfoto von Freddie Gray, auf der linken Seite, und seinen Schwestern, aus einer Gerichtsakte in der Klage gegen einen ehemaligen Vermieter (Familienfoto). Ein Familienfoto von Freddie Gray, aus einer Gerichtsakte in der Klage gegen einen ehemaligen Vermieter (Familienfoto). |
eine Fallstudie über die Auswirkung der Bleifarbe auf die armen Schwarzen. Die Bleivergiftung, unter der Gray als Kind litt, könnte zu seinen Lernschwierigkeiten, dem Schwänzen und den Verhaftungen beigetragen haben. All dies führte 2008 zum Höhepunkt der Bleivergiftungsklage und zu unerwarteten Barzahlungen im Rahmen einer strukturierten Abfindung. Ende 2013 traf Gray Abmachungen mit dem Unternehmen Access Funding.
Menschen wie Gray, die als Kinder unter einer Bleivergiftung litten, sind besonders anfällig für rücksichtslose Transaktionen. Viele sind impulsiv und geistig behindert, aber sie sind es nicht so sehr, dass das Gesetz sie als geschäftsunfähig ansieht, es sei denn, sie sind noch nicht volljährig.
„Viele von ihnen können kaum lesen“, berichtete Saul E. Kerpelman, der seiner Schätzung zufolge mehr als 4.000 Opfer einer Bleivergiftung verteidigte, von denen fast alle schwarz. „Sie haben beschränkte Fähigkeiten. Aber sie fallen durch die Maschen. Wenn sie schwer behindert wären, könnte man eine Klage vor Gericht erheben, um einen Treuhänder zwecks Verwaltung ihres Vermögens zu ernennen. Aber sie sind nicht behindert genug.“
In den letzten zwei Jahrzehnten haben die staatliche Gesetzgebung und der US-Kongress Maßnahmen ergriffen, um anfällige Menschen davor zu schützen, ihre strukturierten Abfindungen zu veräußern. Im Jahre 2000 erließ der US-Bundesstaat Maryland das Gesetz Structured Settlement Protection Act, das eine Reihe von Voraussetzungen auflistet. Zum ersten muss ein Verkäufer einen unabhängigen professionellen Berater zu Rate ziehen. Dann muss der vorgeschlagene Deal einem Bezirksrichter vorgetragen werden, der dann entscheidet, ob die Vereinbarung im besten Interesse des Verkäufers ist.
Aber heute bleibt der Erfolg der Maßnahme wohl aus, so Kritiker. „Sie hat ihre Schwachpunkte, und es gibt Wege, um sie zu umgehen“, so Eric Vaughn, der Geschäftsführer des Vereins National Structured Settlements Trade Association, der Gesellschaften und Anwälte aus der Branche vertritt. „Und diese Gesellschaften umgehen die Absichten des Gesetzes… Und wenn dies der Fall ist, sind die Menschen dann die Opfer.“
Eine Prüfung durch die Washington Post von Tausenden von Seiten Gerichtsakten und Interviews mit Insidern der Branche und acht Opfern von Bleivergiftung hat diese Schwachstellen und Gesetzeslücken in Baltimore aufgezeigt.
Das Unternehmen Access Funding, mit Sitz in Chevy Chase, ist nicht der größte Akteur der Branche. Aber die Gerichtsakten über die Firmen dokumentieren nichtsdestotrotz die Mechanismen dieses Gewerbes und die wenigen Kontrollen, denen es unterliegt. Die Firma Access Funding hat seit 2013 in Maryland ungefähr 200 Verkaufsoperationen strukturierter Abfindungen durchgeführt. Eine Prüfung von zwei Dritteln jener Fälle, die hauptsächlich vor einen Einzelrichter des Bezirksgerichtes von Prince George gebracht wurden, zeigt, dass fast drei Viertel der Betroffenenen Opfer von Bleivergiftung waren.
Jeder Fall führt auch den Wert des Deals an. Er gibt den Gesamterlös der Zahlungen der Bleiopfer, ihren aktuellen Wert und den vereinbarten Kaufpreis an. Eine Stichprobenuntersuchung von 52 jener Deals zeigt, dass Access Funding im Allgemeinen ungefähr 33 Prozent des derzeitigen Wertes eines Dollars bezahlt. Manchmal bietet das Unternehmen auch mehr. Und oft bietet es auch viel weniger. Ein 24jähriges Bleiopfer verkaufte einen Zahlungswert von ungefähr 327.000 $, der einen derzeitigen Wert von 179.000 $ aufweist, für weniger als 16.200 $— oder ungefähr 9 Cent eines Dollars. Ein anderes Opfer gab einen Zahlungswert in Höhe von 256.000 $ mit einem aktuellen Wert von 166.000 $ für 35.000 $, d.h. ungefähr 21% des Wertes auf.
Insgesamt zeigt die Stichprobe, dass Access Funding zukünftige Zahlungen in Höhe von ungefähr 6,9 Millionen $ — die aktuell einen Wert von 5,3 Millionen $ aufweisen — für ungefähr 1,7 Millionen $ erwarb.
Nachdem das Unternehmen mit den Schlussfolgerungen konfrontiert wurde, meinte Borkowski, dass das Unternehmen Access Funding es nicht auf die Bleiopfer abgesehen hat. Denn die große Anzahl der Klagen wegen der Bleifarbe hätten jenen Aspekt des Geschäftes des Unternehmens wohl künstlich aufgebläht. Er meinte, dass interessierte Investoren die Kaufpreise festlegen, die niedriger sind als der aktuelle Wert der Zahlungen, weil verschiedene Faktoren, wie z.B. die Lebenshärteklausel, die die Zahlungen einstellt, falls der Inhaber verstirbt, deren Wert vermindern.
„Wenn Sie bis 2052 Zahlungen erhalten, so ist das ein langer Zeitraum“, meinte er und fügte hinzu, dass sein Unternehmen, das 80 % seiner Geschäfte außerhalb von Maryland tätigt, nur überlebt, weil es bessere Deals anbietet als andere Firmen.
Borkowski forderte trotzdem eine strengere Gesetzgebung und mehr Aufsicht. „Die Fragen, die Sie aufwerfen, betreffen Hauptaspekte, die wir nun anders handhaben werden“, meinte er. „Wir möchten uns in Zukunft vor sämtlichen, potentiellen Fragen wie diesen absichern, damit wir dann sagen können: ‘Nein, das sind wir nicht’“.
„Sie wickeln dich ein“
Das Gerichtsverfahren, das die Zukunft von Freddie Gray und seinen Geschwistern verändern würde, fand in einer Fahrtstunde Entfernung von deren Haus in Baltimore, in der Stadt von Upper Marlboro, statt. Es waren Hundertausende von Dollar auf dem Spiel, aber keiner der Familie Gray erschien bei der Verhandlung.
Die Angelegenheit und auch das Unternehmen waren dem Vorsitzenden Richter Hermann C. Dawson bekannt. Access Funding hatte bei seinem Gericht seit 2013 schon mehr als 160 Anträge gestellt, um strukturierte Abfindungszahlungen zu erwerben. Dawson hat den Anträgen in 90 % der Fälle stattgegeben.
Freddie Gray, der eine strukturierte Abfindung als Ergebnis seiner Bleifarbenklage erhielt, wollte nun dasselbe. „Schuldenfrei zu sein wäre eine große Hilfe“, schrieb Gray in einer eidesstattlichen Erklärung. „Es würde mir viel Stress nehmen und mich dabei unterstützen, mein Kreditrating zu verbessern, damit ich in Zukunft größere Anschaffungen tätigen kann.“
Gray hatte zugestimmt, den Wert seiner strukturierten Abfindung in Höhe von146.000 $, deren Wert aktuell auf 94.000 $ geschätzt wurde, für ungefähr 18.300 $ an Access Funding zu verkaufen. Seine Schwestern wollten ungefähr denselben Deal abwickeln. Dies würde einen Ausverkauf gegen 54.000 $, d.h. gegen weniger als 20% des aktuellen Wertes von ungefähr 435.000 $ für die Abfindung der Geschwister Gray bedeuten, die ungefähr auf 280.000 $ geschätzt wurde.
Keiner erhob Einspruch gegen den vorgeschlagenen Deal. Dawson gab den Anträgen statt. Er stimmte auch zwei anderen Deals von Bleivergiftungsopfern zu. Den Beschluss fällte er innerhalb von drei Minuten auf der Grundlage einer Anhörung. „Die Angelegenheit ist abgeschlossen“, verkündete Dawson während der Anhörung. Er weigerte sich, einen Kommentar darüber abzugeben.
Die Familie Gray, die sechs Verträge mit dem Unternehmen Access Funding unterzeichnete, ist nun vollkommen verärgert. Die Kinder befanden sich in einer schwierigen Lage, so der Stiefvater Richard Shipley. Shipley erzählte, dass er erfolglos versuchte, sie von diesem Deal abzuhalten. „Sie wickeln dich ein… Sie wussten nicht, dass sie für so wenig so viel aufgaben“, sagte er. Nun, fügte er hinzu, seien die Bleischecks eingestellt und Access Funding antwortet nicht auf ihre Anrufe.
Laut Borkoswki hingegen hätte das Unternehmen Access Funding eine „gute“ Beziehung zu den Grays. „In der Tat haben wir seit Freddies Tod miteinander gesprochen. Wir haben ihnen unser Beileid ausgesprochen und der Familie Blumen geschickt“, schrieb Borkowski in einer E-Mail.
Aus den Gerichtsakten geht hervor, dass der Weg, der die Geschwister Gray zum Abschluss dieser Deals führte, vor Jahrzehnten seinen Anfang nahm, und zwar in einer Reihe von Mietbruchbuden mit Bleianstrich im Viertel von Sandtown-Winchester.
„Sie forderten uns auf, das Haus zu verlassen“. Mit diesen Worten erinnerte sich Shipley an einen Bleifarbeninspektor, der die Familie beriet. Aber wohin sollten sie denn ziehen? Alle Häuser, in denen sie zwischen 1988 und 1996 gelebt hatten, hatten einen Bleifarbenanstrich. Die Bleiniveaus der Geschwister waren auf mindestens 36 Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut angestiegen. Dieser Wert galt damals als hoch, als die Stadt jährlich Tausender bleivergifteter Kinder hervorbrachte. Auch heute gilt dieses Niveau als hoch. Das Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention (Center for Disease Control and Prevention) beschreibt heute jedes Niveau über 5 Mikrogramm als „hoch“. Am Dienstag verpfändeten Bundesbehörden 3,7 Millionen $, um die Überbleibsel des Bleianstrichproblems von Baltimore definitiv aus der Welt zu schaffen.
North Stricker Street in der Nähe der Riggs Avenue im Viertel von Sandtown-Winchester in Baltimore. (Lance Rosenfield für die Washington Post)
Die Erforschung der Bleiauswirkungen auf den menschlichen Körper ist eine Wissenschaft, die sich noch in ihrer Entwicklung befindet. Im Alten Rom wurde Blei als künstlicher Süßstoff verwendet. Danach wurde es zu einem billigen Produktionszusatzstoff. Blei verlor aber nie seine Süße. Es ist ein unwiderstehliches Giftbonbon für Kinder. In der Vergangenheit gingen Wissenschaftler davon aus, der menschliche Körper wäre in der Lage, einer bestimmten Bleimenge standzuhalten. Aber die US-Regierungsbehörden verboten 1978 Blei für den Anstrich von Wohnbereichen. Forscher behaupten nun, dass jegliche Bleispur, die Kinder absorbieren, indem sie Farbteilchen verschlucken und Anstrichstaub einatmen, ihre kognitive Entwicklung beeinträchtigen kann.
Am Ende wiesen die Grays, wie aus den Akten hervorgeht, „neurokognitive Defizite“ auf. Die Psychologen entdeckten dieselben „Defizite“ auch in Rose und ihren Geschwistern. Ihr Bleilevel im Blut erreichte den Wert von 31 und verursachte „einen permanenten, schweren Hirnschaden“, wie aus den Gerichtsakten hervorgeht und beeinträchtigte ihre Kompetenz, „ein normales Leben zu führen.“
So verklagten die Grays, Rose und Tausende anderer Familien im Jahre 2010 ihre Vermieter. Die Grays entschieden sich dann für einen Weg, den sechs Bleianstrichanwälte nach eignere Aussage ihren Mandanten oft empfehlen. Sie optierten für eine strukturierte Abfindung. Diese Vereinbarung wurde von Versicherungsunternehmen, Anwälten für Behinderte und sogar vom Kongress angeraten.
„Ich versuche meine Mandaten davon zu überzeugen, dass eine strukturierte Abfindung in deren bestem Interesse sein könnte“, so Kerpelman. „Sie verfügen nicht über die erforderliche Erfahrung, um mit Geld umzugehen und leiden unter einem Hirndefizit. Und die Erfahrung zeigt, dass sie höchstwahrscheinlich im Falle einer einmaligen, hohen Bargeldzahlung das Geld in Kürze vollkommen verprassen würden“.
Armut und Behinderung sind teuer. Das führt zu zunehmenden Schulden. Der Verlust zukünftiger Zahlungen gegen eine sofortige Barzahlung kann wie eine schmerzfreie Notwendigkeit erscheinen.
Genauso rekonstruierte die 42jährige Tarsha Simms ihre Entscheidung, einen Teil der Zahlung an ihre Tochter an Access Funding zu verkaufen. „Ich bereue es“, meinte Frau Simms, „aber hätten wir diesen Deal nicht abgeschlossen, wären wir jetzt auf der Straße.“
Um einen Ausgleich zwischen den Anfälligkeiten der Kunden und der Profitgier der erwerbenden Gesellschaften zu finden, übergaben die staatlichen Gesetzgebungen den Bezirksrichtern die Aufgabe der Urteilsfindung in diesen Fällen. Aber das Gesetz von Maryland ist „wesentlich“ schwächer als in den meisten Staaten, wie der Experte für langfristige strukturierte Abfindungen Craig Ulman bestätigt. Beispielsweise ist es nicht notwendig, dass die Empfänger der Abfindung vor Gericht anwesend sind, wie es hingegen im Gesetz von Illinois der Fall ist. Die Gesellschaften der Käufer müssen ihre Anträge auch nicht im Bezirk des Wohnsitzes des Verkäufers stellen, wie in New York, Oregon und in anderen Staaten.
Kritikern zufolge können solche Bedingungen zum sogenannten „Forum Shopping“ führen, in dem die Gesellschaften der Käufer nach laxeren Richtern suchen. Jene Firmen „finden quietschende Räder, wo die Auflagen nicht so streng sind und der Richter sich einfach nur die eidesstattliche Erklärung ansieht“, berichtete John Darer, der ein Blog zur Überwachung der Branche betreibt.
Die Anträge der Bleiopfer aus Maryland häufen sich in den Bezirken von Montgomery, Howard und Prince George auf, überall, außer in Baltimore City, der Gerichtsbarkeit, in der die meisten Bleiopfer leben. Access Funding zufolge wurden die Anträge hauptsächlich im Bezirk von Prince George gestellt, weil die Rechtsanwaltskanzlei hier ihren Sitz hat.
Das Gerichtswesen von Maryland macht es auch einfach, die richtige Kundschaft zu finden. Seine Fallsuche ordnet die Bleianstrichklagen nämlich einer eigenen Kategorie zu. Dies bedeutet, dass man bereits nach wenigen Tastenanschlägen Tausende von Namen erhält. Das einzigartige Zusammenspiel von Faktoren gilt als das perfekte Aufeinandertreffen negativer Elemente, wie Earl Nesbitt, Geschäftsführer der National Association of Settlement Purchasers bestätigt.
Aber es ist nicht für alle schlecht. Für einen versierten Experten, der es in Kauf nimmt, tief in die ärmsten Viertel von Baltimore einzudringen, kann dies ein lukratives Geschäft sein.
Und eine Zeit lang war das für Scott Blumenfeld so.
Insider-Einblick
Er liebt riskante Geschäfte. Er hat eine Vorliebe für breite, glitzernde Uhren. Er hat so viel gepokert, auf Spielkarten geschielt und Chips geschoben, dass er eine Sehnenscheidenentzündung in seinem rechten Arm entwickelt hat und nun einen breiten, schwarzen Gurt trägt. Er fährt das letzte Modell eines blauen Audi. Wie er sagt, macht ihn das Fahren durch bestimmte Viertel von Baltimore nervös, wenn er nachts ein Bleianstrichopfer treffen muss.
„Ich fahre nie zu niemanden, ohne mich vorher telefonisch anzumelden“, so Scott.
Blumenfeld, der Hunderte Abfindungsübertragungsverträge bearbeitet hat, meinte, er hätte nie die Absicht gehabt, eine solche Arbeit auszuüben. Er wuchs in Rockville auf, absolvierte sein Grundstudium in Madison, Wisconsin und studierte dann Jura an der Universität Baltimore. Während des Studiums traf er andere Jurastudenten, die eine rechtliche Stiftung für eine der größten Abnehmerfirmen für strukturierte Abfindungen gründeten.
Viele ließen sich an einem Ort nieder, meinte er. „Um Bethesda, gibt es eine Konzentration dieser Gesellschaften für strukturierte Abfindugen, aber es gibt keine [Abfindungsempfänger] in Bethesda, nicht mal einen. Ich habe noch nie von einem Empfänger aus Bethesda gehört,” so Blumenfeld. „Aber sie machen keine Geschäfte in Bethesda. Nicht einmal im Bezirk von Montgomery. Alles nur in Baltimore.“
Die erste von Blumenfeld ausgeübte Funktion bestand 2005 in der notariellen Beglaubigung von Verträgen für eine Abnehmerfirma von Abfindungen aus Bethesda.
Anwalt Scott Blumenfeld, fotografiert in Pikesville, Maryland. (Marvin Joseph/The Washington Post) |
In den nächsten fünf Jahren klopfte er an die Türen der schwierigsten Blöcke, um Hunderte von Unterschriften zu sichern.
2010 wurde Blumenfeld ein unabhängiger, professioneller Berater von Verkäufern, bevor ihre Geschäfte vor Gericht gingen. Die Gesetzgebung von Maryland sieht vor, dass eine Person, die weder von einem Abnehmerunternehmen bezahlt wird noch von diesem abhängig ist, einen „Beratungsdienst in Anspruch nehmen muss, der sie über die gesetzlichen, steuerrechtlichen und finanztechnischen Auswirkungen des [Geschäftes] unterrichtet.“ Die Verkäufer müssen deren Berater selbst bezahlen.
Es klingt komplex. Aber dem war laut Blumenfeld nicht so. „Die meisten Geschäfte wickelte ich telefonisch ab“, meinte er. Er fragte die Leute, ob sie die „gesetzlichen, steuerrechtlichen und finanztechnischen Auswirkungen“ des Geschäfts verstanden hätten. „Dies dauerte nicht mal eine Minute. Ich ging nicht die vertraglichen Bedingungen durch. Das fiel nicht in meinen Aufgabenbereich. Ich denke auch nicht, dass sich andere Anwälte darum kümmern. Ansonsten würden sie keine Folgegeschäfte erhalten.“
Charles E. Smith ist ein anderer Rechtsanwalt, der diese Arbeit macht. Ein Bericht über die 52 Deals von Access Funding deckte auf, dass Smith als unabhängiger Berater für jeden arbeitete. Smith setzte in jedem Fall denselben Brief auf, in dem es hieß, dass das Bleiopfer die „gesetzlichen, steuerrechtlichen und finanztechnischen Auswirkungen“ des Deals verstanden hat und dass es nicht Access Funding angegliedert ist. Borkowski teilte mit, dass sein Unternehmen keine vertragliche oder Geschäftsbeziehung mit Smith hatte und weigert sich somit, zusätzliche Fragen zu beantworten.
Smith meinte, dass solche Transaktionen „einen äußerst geringen Prozentsatz meiner Praxis darstellen. Ich habe keine Geschäftsbeziehungen mit keiner Gesellschaft in der Branche der Abnehmer strukturierter Abfindungen… im Großen und Ganzen werde ich direkt von den [Abwicklungsempfängern] kontaktiert. . . . Ich weiß nicht, wie Sie auf mich kommen…. Meine Unabhängigkeit ist auf keinen Fall beeinträchtigt oder gefährdet.“
Kritiker verurteilten die Praxis eines unabhängigen Beraters, der jeden Deal für dieselbe Gesellschaft verhandelt. „Das ist ein vollkommener Interessenskonflikt“, behauptete Rechtsanwalt Kerpelman. „Er macht Geschäfte für sie und immer nur für sie. Stellen Sie sie mal vor, der würde sagen, dass sie nicht lesen kann und gar nicht versteht, was sie da unterschreibt.“ Jene Zusammenarbeit, meinte er, würde sofort beendet.
Aber Blumenfeld meinte, dass die wahrgenommenen Konflikte nicht den einzigen Interessenskonflikt darstellten, der ihm zu schaffen machte.“ Ein Zehnjähriger verfügt nicht über die geistige Fähigkeit, diese Zahlungen zu verkaufen, aber Sie sehen, dass diese Person 20 ist, aber immer noch die mentale Fähigkeit eines Zehnjährigen hat.. . . . Verfügt dieser Leibrentner somit über die Fähigkeit, diese Zahlungen zu verkaufen?“
Die Kreuzung der Stricker Street und Lafayette Avenue im Viertel von Sandtown-Winchester in Baltimore. (Lance Rosenfield für die Washington Post)
Blumenfeld erzählte, er hätte dann eine dritte und letzte Rolle als eine Art Broker gespielt. Er schlug den Kunden verschiedene Abnehmergesellschaften vor, berichtete er, um bessere Deals auszuhandeln. Einer der Kunden war das Bleiopfer Kevin Owens, der Zahlungen im Wert von Tausenden von Dollar verkaufen wollte. Er verpflichtete sich gegenüber Access Funding und anderen Gesellschaften, stieg aber nach einem Gespräch mit Blumenfeld aus dem Deal mit Access Funding aus. In einer im März abgewiesenen Klage verklagte Access Funding Blumenfeld wegen ungerechter Geschäftspraktiken und ungerechtfertigter Bereicherung.
Um denselben Zeitraum warf die Anwaltsbeschwerdekommission von Maryland Blumenfeld vor, einen Anwaltsgehilfen mit „substantiellen Vorstrafen“ zu beschäftigen, dem ein älterer Mandant eine Vollmacht erteilt hatte. Die Beschwerdekommission führte auch aus, Blumenfeld hätte „die Unterlagen der Anderkonten und die Hauptbücher der Mandanten nicht korrekt geführt“. Sie suspendierte ihn im Juli des letzten Jahres für mindestens sechs Monate wegen unsachgemäßer Unterlagenaufsicht und -Instandhaltung.
Jene rechtlichen Angelegenheiten lähmten die Arbeit von Blumenfeld in der Branche der strukturierten Abfindungen, meinte er. Aber bis heute denkt er über die entgangenen Geschäfte. Im Besonderen eine Person geht ihm immer wieder durch den Kopf. Er versuchte, Kontakt mit dem Mann aufzunehmen. Er sendete ihm Briefe.
Aber Blumenfeld gelang es nie, mit Vincent Maurice Jones Jr. in Verbindung zu treten.
‘Sie gaben mir nur ein paar Cent’
Die Sonne schien durch die stille Straße von West-Baltimore. Aber in einigen der bewohnten Häuser war es vollkommen dunkel. Schwarze Vorhänge hingen über den Fenstern. Das Wohnzimmer war voller Pfandbelege. Da lag auch ein Prospekt mit Ratschlägen für Menschen, die unter einer Schussverletzung litten. Und verankert mit dem Kaminsims befand sich eine Keksdose, die mit den Worten „Access Funding“ geschmückt war.
Vincent Maurice Jones Jr., der keinen Oberschulabschluss hatte, spielte oben in seinem Schlafzimmer Videospiele. Er war sehr schnell müde von den Fragen.
Was war mit Access Funding geschehen? „Versetzen Sie sich mal in meine Lage. Sie haben dieses ganze Geld bekommen, und ich habe kaum was davon gesehen.“ „Wie viel war die Abfindung wert?“ „Welche Abfindung?“
Der 25jährige Jones wurde in einem Haus in der Mosher Street erwachsen, das heute verlassen und zugebrettert ist. Die Bleifarbe verpestete die gesamten Innenräume bis auf wenige Wände. Dies geht aus den Akten hervor, die im Rahmen einer Bleifarbenklage eingereicht wurden, die Jones im Jahre 2008 erhob. „Eine echte Bleigrube“, so nannte es ein Kinderarzt aus Baltimore in einer Aussage.
Diese verlassenen und zugebretterten Wohnungen verursachten damals in einigen ihrer Bewohner eine Bleivergiftung. Auf dem Bild der Block 1700 der Mosher Street in Baltimore. (Marvin Joseph/The Washington Post)
Als Jones zwei Jahre alt war, enthielt sein Blut 16 Mikrogramm Blei. Das ist das dreifache Niveau eines schon als hoch angesehenen Bleilevels. Der Level erhöhte sich dann auf 28. Dann fiel er wieder auf 16, um dann erneut bis 22 anzusteigen. Als Jones 8 war, enthielt sein Blut immer noch hohe Bleilevels. Bald wiederholte er Klassen und fiel durch.
Ein Psychologe, zweifelte, wie aus den Gerichtsakten hervorging, an seiner Arbeitsfähigkeit und sprach von „schweren Lernschwierigkeiten“. Er bezifferte den wirtschaftlichen Verlust in seinem Leben auf mehr als 1.5 Millionen $. Ein anderer medizinischer Experte konnte nicht feststellen, ob Jones, der verschiedene Schulklassen wiederholt hatte, „schwerbehindert“ oder nur „allgemein behindert“ war.
„Seine Mutter kümmert sich im Wesentlichen um seine medizinische Verpflegung. Sie bringt ihn zu den Ärzten und versichert sich, dass er seine medizinische Betreuung erhält“, erklärte der WirtschaftsexperteMichael A. Conte in einer Aussage. „Sie kümmert sich natürlich auch um alle finanziellen Angelegenheiten. Und sie oder Jones‘ Freundin führen ihn auch herum, wenn er sich an Orte begeben muss, die jenseits der eigenen Straße liegen.“
Aber in einer eidesstattlichen Erklärung, die von Access Funding verfasst worden war und die Jones 2013 unterzeichnet hatte, stand, dass Jones seine Abwicklung von90.000 $ für 26.000 $ verkaufen wollte, um „ein Fahrzeug zu erwerben“. Das Geld, so hieß es in der eidesstattlichen Erklärung, würde auch genutzt werden, um „sich eine Arbeit zu suchen und die notwendige Einrichtung, Kleider und Schulsachen für meine kleine Tochter zu kaufen.“
Aber Jones hat keine Tochter, sondern einen Sohn. Und Jones hatte nie einen Führerschein. Innerhalb weniger Monate nach dem Kauf eines Ford Sedan, erhielt Jones vier Strafzettel, weil er ohne Führerschein einen Wagen gefahren hatte. Heute steht der Wagen unbenutzt in der Sonne.
Monate später schloss Jones einen weiteren Deal mit Access Funding ab. Diesmal unterzeichnete er zwei Verträge. In einem gab Jones einen Wert zukünftiger Zahlungen in Höhe von 327.000 $, mit einem aktuellen Wert von 179.000 $, gegen eine Gegenleistung von 16.000 $ auf. Im Rahmen eines anderen Deals, aus dem er dann zurücktrat, bat man ihm 34.000 $ für einen Fluss von Zahlungen von insgesamt 336.000 $ von einem aktuellen Wert von 195.000 $ an. Insgesamt schien Jones bereit, 663.000 $ seiner Abfindungen für 50.000 $ verkaufen zu wollen.
Der offizielle Grund, der in den beiden eidesstattlichen Erklärungen vom Frühjahr 2014 angeführt wurde, war rätselhaft. Jones, der gerade das Haus gekauft hatte, das er mit seiner Mutter teilt, indem er das Geld aus einem strukturierten Abfindungsvertrag verwendet hatte, hätte über Monate keine Miete zu zahlen brauchen. Aber er unterzeichnete eine eidesstattliche Erklärung, die Access Funding verfasst hatte, in der es heißt, dass er „eine Vorauszahlung auf ein Haus leisten wollte. Da ich derzeitig arbeitslos bin, ist Mieten teuer und beeinträchtigt meine Fähigkeit, für mich und meine Familie eine angemessene Wohnung zu finden.“ In der anderen eidesstattlichen Erklärung hieß es: „Die Mietausgaben sind Ausgaben, die ich nicht länger übernehmen möchte.“
Burkowski, der Geschäftsführer von Access Funding, meinte, er könnte über diese Ereignisse nur spekulieren. „Wir berücksichtigen, das, was uns gesagt wird“, sagte er. „Es handelt sich um Menschen, respektable Menschen, die aufrichtige Bedürfnisse haben. Wenn sie sagen, dass sie ein Haus brauchen, so steht es Access Funding nicht zu, in Frage zu stellen, was der Kunde uns erörtert. Wir versuchen diesen Menschen nur zu helfen.“
Das ist eine Unterstützung, auf die er gerne verzichtet hätte, so Jones. „Das Ganze ist nichts anderes als Betrug“, meinte Jones, indem er behauptete, dass Access Funding sich selbst ausdachte, warum er das Geld brauchte. „Das ganze Geld, das ich hatte, ist weg. Sie haben mir nur Cents davon gegeben.“
So hat Jones entschieden zu kämpfen. Er arbeitet mit einem Rechtsanwalt zusammen, der die Absicht verfolgt, Access Funding zu verklagen. Und er ist nicht der einzige.
Zuerst Tränen und dann das Gerichtsverfahren
„Hier ist es“, meinte Rose, indem sie auf eine breite Struktur zeigte, die sich einige Blöcke von der Stelle abzeichnete, von der der CVS-Laden während der Proteste für Freddie Gray brannte. Das ist die Stelle, an der das bleigestrichene Haus ihrer Kindheit damals stand. „Es wurde abgerissen“, so Rose. „Und nun ist es weg.“
Es war Samstagnachmittag, und West Baltimore war erfüllt von Leichenzügen. Die Stadt hatte gerade ihren blutigsten Monat der letzten vier Jahrzehnte mit 43 Totgeschossenen hinter sich. Rose griff zu ihrem Handy, um ein grausiges Fotos eines toten Schwarzen zu zeigen, das gerade durch Facebook ging. „Er wurde grundlos getötet“, meinte sie.
Sie hasst das Ganze hier, so Rose. Sie will nicht mehr hier leben. Die Leichenzüge lassen alle ihre Erinnerungen an all das hochkommen, das sie gerne hinter sich lassen wollte, als ihre Familie mit dem Geld der Abfindung ein größeres Haus direkt außerhalb von Baltimore gekauft hatte. Der Umzug führte sie in eine Entfernung weniger Meilen von der Heritage High School, wo sie ihr Diplom, eines ihrer größten Erfolge, schaffte.
Rose meinte, dass auch jener Erfolg nun weit entfernt erscheint. An einem Nachmittag fing sie plötzlich an zu heulen. Sie sagt oft Menschen, dass sie nicht „doof“ ist. Sie braucht nur ein wenig mehr Zeit, um Sachverhalte zu erfassen. Aber jetzt war sie sich, aufgrund der Überforderungen durch die getroffenen Entscheidungen und die unterzeichneten Verträge, darüber nicht mehr so sicher.
Rose hätte eigentlich ihr Leben in den Griff bekommen sollen, nachdem sie die Bleiklage gegen ihren ehemaligen Vermieter gewonnen und einen großen Abfindungsbetrag erhalten hatte, aber davon ist heute sehr wenig übrig. (Amanda Voisard für die Washington Post)
In der Meinung, immer noch Geld zu haben, versuchte Rose im März erneut, einige Abfindungszahlungen zu verkaufen. Aber ihr im April gestellter Antrag wurde später zurückgewiesen, als herauskam, dass ihr ganzes Geld weg war. Um diese Zeit reimte sie sich auch zusammen, was mit Access Funding geschehen war. Im Mai rief sie Anwälte an, um zu sehen, ob man etwas tun könnte.
Anfang Juni verklagte Rose Smith den Anwalt, der als unabhängiger Berater im Deal mit Access Funding für sie tätig gewesen war. Smith „hat mindestens 40 identische oder wesentlich ähnliche Schreiben unter ähnlichen Umständen in anderen Anträgen aufgesetzt, in denen das Unternehmen Access Funding eine Übertragung einer strukturierten Zahlung anstrebte“, heißt es in der Klage, die vor dem Bezirksgericht von Baltimore City erhoben wurde. Der Rechtsstreit, der von den Rechtsanwälten Raymond Marshall und Brian Brown eingeleitet wurde, wirft Smith juristisches Fehlverhalten und absichtlich falsche Darstellung vor.
Hier heißt es, dass Smith Rose seine laufende Beziehung zu Access Funding verschwiegen und sie weder persönlich getroffen noch sich über ihre geistigen Fähigkeiten informiert hatte. „Kein vernünftiger Rechtsanwalt, der Frau Rose vertritt, hätte die vorgeschlagene Transaktion empfohlen“, heißt es.
Smith behauptete in den Gerichtsakten, Roses Klage wäre „wesentlich inkonsistent“ mit ihrem vorherigen Standpunkt und somit abzuweisen. Rose, meinte er, unterzeichnete einen Vertrag, in dem sie ihre Absicht bestätigte, die Zahlungen zu verkaufen. Sie unterzeichnete eine eidesstattliche Erklärung, in der es hieß, dass sie mit einem unabhängigen Berater gesprochen hatte. „Bei einer Partei, die einen Vertrag unterzeichnet, geht man davon aus, dass sie die vertraglichen Bedingungen gelesen und verstanden hat“, hieß es in der Klageerwiderung. „… Diese allgemeine Regel findet auch Anwendung, wenn die Person, die das Dokument unterzeichnet, ‘fachlich ungebildet’ ist.“
Rose arbeitet nun für einen örtlichen Hauspflegedienst und leistet einer älteren Dame Gesellschaft, erzählt sie. Zwischen den Schichten und der Unterstützung, die sie ihrem Bruder und seinen Kindern anbietet, sagt sie, versuchte sie nicht darüber nachzudenken, was mit ihrer Abfindung geschehen war. Immer noch, sagt sie, fühlt sie sich gehetzt“, wie „Freiwild oder so etwas“.
Die Abnehmerfirmen von Abfindungen, so Rose, belästigen sie mit Telefonanrufen und Briefen. Kürzlich öffnete Rose den Briefkasten und fand ein Schreiben von Access Funding. Das Schreiben versprach ihr schnelles Geld. Das einzige was Rose tun musste, war einfach anzurufen.