Wanjala Wafula von Coexist in Nairobi – Männer als Partner zwecks Überwindung der Gewalt gegen Frauen

Von Milena Rampoldi und Beyza Ünver, ProMosaik. Nachstehend ein Interview mit  Wanjala Wafula, Journalist und Vorstandsvorsitzender/Gründer der Initiative Coexist, der sich  in Nairobi für ein tolerantes, kooperatives Zusammenleben in der Gesellschaft einsetzt und sich gegen jegliche Art von Gewalt auflehnt. 
 
 
Wie wir schon mehrmals aufgezeigt haben, brauchen wir Männer und Jungs als Partner, um die Frauen zu schützen und gegen die geschlechtsspezifische Gewalt zu kämpfen. Und genau das ist der Ausgangspunkt, den uns Wanjala zeigt. Wenn wir gegen die Gewalt arbeiten, stellen wir uns automatisch gegen die Kinderehe, die weibliche Genitalmutilation, den religiösen Radikalismus und alle negativen Verhaltensweisen, die ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft verhindern. Wir möchten Wanjala für seine wichtigen Worte danken.
Wie wurde die Initiative for Coexistence gegründet?
Ich habe diese Initiative vor 12 Jahren gegründet. Damals war ich im Journalismus tätig: Ich war Redakteur bei einer kenianischen Hauptzeitung. Aber ich verließ meine Karriere aufgrund einer persönlichen, sehr schmerzhaften Erfahrung.
Ich bin ein Zwilling, einer von zwölf Kindern. Wir sind sechs Zwillinge: sechs Jungs und sechs Mädchen. Eine meiner Schwestern hat ebenfalls Drillinge! Meine Zwillingsschwester war eine ausgebildete Krankenschwester. Eines Tages kam sie nach Hause in mein Dorf, um meine Mutter zu besuchen, die krank war. Aber auf dem Weg zu uns wurde sie von fünf Männern vergewaltigt, erwürgt und getötet. Das Dorf entschied, dass nach unserer Kultur eine Frau nur vierzehn Ziegen wert war und dass die Täter dies als Strafe zahlen sollten. So zahlten die Männer die Ziegen als Geldstrafe dafür, dass sie meine Schwester vergewaltigt und getötet hatten. Ich weigerte mich, das Urteil des Dorfes über den brutalen Angriff und die Ermordung meiner Schwester zu akzeptieren. Ich meldete das Ganze bei der Polizei und bat um eine Überprüfung der Tatbestände. Heute sind die Täter lebenslänglich in Haft.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich den Journalismus aufgab und erkannte, dass die Welt ein anderes Gespräch mit Männern und Jungen benötigt. Wir müssen mit Männern und Jungen über geschlechtsspezifische Gewalt, Männlichkeit und negative soziale Stereotypen sprechen. Ich wollte Männer nicht als Täter, sondern als Partner engagieren, denn es gibt viele gute Männer auf der ganzen Welt. Allerdings schweigen die guten Männer und erlauben den schlechte, ihr Geschlecht zu vertreten.
So rief ich vor 12 Jahren ein umfassendes Programm ins Leben, in dem sich alle Beteiligten – Männer, Frauen, Jungen und Mädchen – nicht nur für die Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch für die Friedens- und Konfliktmanagement und die Förderung der Menschenrechte einsetzen. Jetzt führen wir Programme in Flüchtlingslagern, Konfliktgebieten, Gefängnissen, Universitäten, marginalisierten Gemeinschaften und ländlichen Bevölkerungen in ganz Kenia durch.
Unser Modell erzielt erhebliche Erfolge. Wir haben Partner in ganz Ostafrika und unsere Arbeit wurde durch mehrere Auszeichnungen anerkannt. Zum Beispiel wurden wir von der afrikanischen Union als eine Organisation, die den Friedensaufbau, die Konfliktvermeidung und die Gerechtigkeit fördert, ausgezeichnet. 2014 erhielten wir die internationale Auszeichnung für den interkulturellen Dialog, der von der Europäischen Union für unsere Arbeit über die Bildung von Mädchen und Frauenrechten in der Entwicklung gefördert wurde. 2015 erhielten wir die UNHCR-Empfehlung für die Umsetzung bewährter Interventionen und Praktiken. 2015 gewannen wir den Avon Global Communication Award und 2016 den Global Intercultural Innovation Award.

Wie sieht es in Kenia mit der weiblichen Genitalmutilation und der Kinderehe aus?
Die Prävalenz schädlicher, traditioneller Praktiken in Kenia stimmt mich traurig. Wir haben es gemeinsam versäumt, die Rechte vieler Mädchen zu einem Leben ihrer Wahl wahrzunehmen. In den vergangenen zwei Jahren waren 40% der Mädchen in Kenia vor ihrem achtzehnten Geburtstag verheiratet; 61% sind es auf dem Land. Mit diesem Tempo wird Kenia im kommenden Jahr 35.000 Mädchen mehr verheiraten. Das sind 35.000 Mädchen, die Verstöße gegen ihr Recht auf Gesundheit, Bildung und Nichtdiskriminierung erleiden werden.
Seit 2011 ist die weibliche Genitalverstümmelung in Kenia gesetzlich verboten, aber in einigen Gebieten ist sie immer noch weit verbreitet. Nach der neusten demographischen Gesundheitsumfrage, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, ist die Prävalenz von 38% im Jahre 1998 auf 21% im Jahr 2014 gesunken. Die Behörden sahen einfach weg, und die öffentlichen Zeremonien und Übergangsriten der weiblichen Genitalverstümmelung gingen in bestimmten Regionen weiter. Es gibt kein nationales Programm, um Schüler über die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen zu unterrichten.
Das 2011 verabschiedete Kindergesetz verbot die Eheschließung von Personen unter 18 Jahren und erklärte sogar, dass „niemand einer frühen Ehe oder anderen traditionellen Praktiken unterliege, die das Leben, die Gesundheit, das soziale Wohlergehen oder die Würde des Kindes negativ beeinflussen könnten.“ Das Problem ist nicht das Gesetz, sondern der Mangel an politischem Willen, es durchzusetzen.
Wir haben keine ausreichenden Strukturen, um Kinderehe und weibliche Genitalverstümmelung zu überwachen und zu verfolgen, keine Dienste, die einen Zufluchtsort bieten, wo die Kinderbräute untergebracht werden könnten. Obwohl es aufgrund der steigenden Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen zu mehr Entführungen zwecks Zwangsehe kommt als in der Vergangenheit und die Situation umso alarmierender ist, stehen die Kinderrechte wenn überhaupt ganz unten auf der Liste der Prioritäten der Regierung.
 
Ich finde es tragisch, dass die Männer die Körper von Frauen und Mädchen als Waffen auf ihrem Schlachtfeld nutzen und dass dies so wenig Empörung bei den staatlichen Behörden auslöst.
 
 
 
Wie gehen Sie diese beiden Themen an?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der Weg nach vorn darin besteht, die Gemeinschaft als Ganze zu engagieren. Die soziale Umwandlung wird nicht ohne den Einsatz der Gemeinschaft geschehen. Dies ist der Grund, weshalb ein Großteil unserer Arbeit bei der Coexist Initiative auf die Sensibilisierung für die negativen Auswirkungen schädlicher traditioneller Praktiken in den Medien fokussiert.
Wir haben auch örtliche Beamte, Bewohner und Dienstleister mit Nachrichten zum Schlüssel der Verhinderung der Kinderehe erreicht. Beispielsweise haben wir am Buch „Our Voices Our Cry“ gearbeitet, das die Geschichten von Kindern, die sexuell missbraucht wurden, erzählt. Derzeit drängen wir für die Aufnahme dieses Buches in den Schulplan. Auf diese Weise wollen wir, indem wir den Dialog über schädliche traditionelle Praktiken in das öffentliche Bewusstsein rücken und in unsere Schulen bringen, die Diskriminierung ansprechen, die im Mittelpunkt steht.
Im vergangenen Jahr haben wir eng mit den Stammesältesten der Massai und Kaya zusammengearbeitet, um schädliche traditionelle Praktiken wie Kinderehe und weibliche Genitalverstümmelung zu bekämpfen. Ich habe festgestellt, dass die Zusammenarbeit mit spirituellen Führern und den Stammesältesten die Reichweite unserer Botschaft dramatisch verbessern kann. Da sie als Hüter der Kultur gesehen werden, vermitteln sie ihre Traditionen und Überzeugungen an die jüngeren Generationen. Traditionelle Führer haben die Autorität, um die Akzeptanz dieser Praktiken zu verringern. Zudem sind ihre Stimmen besonders wichtig, wenn es darum geht, Jungs und Männer zu erreichen.
Ein wichtiger Moment im Leben eines Jungen ist die Zeit, in der er die „Regeln der Männlichkeit“ lernt. Dies geschieht traditionell während der männlichen Beschneidungszeremonie, wenn die Jungs geschlechtsspezifische Botschaften über die Männlichkeit erreichen. Die Arbeit mit spirituellen Führern hat einen neuen Raum für den Dialog eröffnet. Wir unterrichten die Jungs, was es heißt, männlich zu sein. Jungs werden dann zu Männern, wenn sie Frauen als Menschen respektieren und unterstützen.
Wenn Männer die Praktiken der Unterordnung und Gewaltanwendung gegen Frauen ablehnen, dann können wir die Kinderehe an der Wurzel bekämpfen. Die Unterstützung der Stammesältesten ist ein wichtiger Teil dieses Prozesses.
 
 
 
Warum ist es Ihrer Ansicht nach wichtig, die Männer in die Debatte über die Gleichstellung der Geschlechter einzubeziehen? Wie hat die Zivilgesellschaft bisher reagiert?
Wenn wir vom Geschlecht sprechen, beziehen wir uns auf Männer und Frauen sowie auf Jungs und Mädchen. Allerdings gelten falsche Wahrnehmungen und Ungleichheiten bezüglich des Geschlechts vorwiegend und kritisch für Frauen. Diese Ungleichheiten führen zum ungleichen Zugang zur Bildung für Mädchen, zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsproblemen, einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt und HIV & AIDS.
Unsere Wahl, mit Männern und Jungs zu arbeiten, hat sich durch die Tatsache ergeben, dass männliche Wahrnehmungen traditionelle, stereotype Denkweisen aufweisen, die die Identität und das Verhalten von Männern und Jungen prägen und dadurch die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten verewigen, anstatt patriarchalische Normen zu brechen.
Arbeiten Sie mit lokalen Behörden und Institutionen zusammen? Wenn ja, wie?
Wir kooperieren mit staatlichen Ministerien, Regierungen und lokalen NROs. Unsere Partnerschaft zeichnet sich durch die Durchführung von Projekten, bei denen wir gemeinsame Schwerpunkte haben,  durch die Ressourcen-Mobilisierung, die Umsetzung der Politik und die Befürwortung aus. Die Behörden in der Grafschaftsregierung verstärken die Überweisungsmechanismen in Fällen der Suche nach Gerechtigkeit, der Durchsetzung von Gesetzgebung und auch als Akteure der Befürwortung zwecks Überwindung schädlicher traditioneller Praktiken.

 

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