ProMosaik interviewt Frau Brigitte Schulz von Schalom-Salaam zum Thema des interreligiösen Dialogs zwischen Judentum und Islam
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Frau Brigitte Schulz: Man muss die Gemeinsamkeiten suchen und diese der Öffentlichkeit vorstellen. Wie man so schön sagt, da wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Diejenigen, die sich mit dem interreligiösen Dialog beschäftigen, haben fast immer großen Respekt gegenüber den Anderen. Es ist aber auch wichtig, diesen gegenseitigen Respekt der Öffentlichkeit näher zu bringen.
Frau Brigitte Schulz: Jedes Extremismus ist schlecht und verhindert das friedliche Zusammenleben. Leider wird oft die kleine Zahl an Extremisten so betrachtet, als würde sie die gesamte Gemeinschaft repräsentieren. Die Unterscheidung findet meistens nicht statt, wenn die Leute sich nicht richtig kennen und keinen engen Kontakt zueinander pflegen. Der Zionismus ist keine Ausnahme. Gleichermaßen, wie man häufig hört „Muslime sollten sich vom Extremismus distanzieren“, wäre es angebracht, dass sich auch die Juden vom Zionismus distanzieren. In der deutschen Gesellschaft hat sich die jüdische Gemeinschaft nicht öffentlich davon distanziert. Ich habe im Gegenteil oft gelesen, dass viele mit der Politik von Israel einverstanden sind und die israelische Armee unterstützen. Zum Glück kenne ich persönlich Juden, die friedlich und offen gegenüber Muslimen sind. Der Idee der Gleichbehandlung aller Religionen entsprechend, wäre es sehr schön, dass die Juden gleiche gesellschaftliche Pflichten wie die Muslime haben: das heißt, sich auch vom Extremismus distanzieren wie wir es tun. Zionismus kann nur dann überwunden werden, wenn sich die in Deutschland lebenden Juden deutlich davon distanzieren.
Frau Brigitte Schulz: Ich denke an die Lebensregeln: Essensregeln, die Einhaltung des Schabbats und des Ramadan, die Beschneidung. Beide Religionen haben auch Pilgerstätten im Nahen Osten bzw. auf der Arabischen Halbinsel. Die orientalische Kultur findet man bei vielen Israelis wieder. Auf der Ebene der spirituellen Lehre lassen sich viele Gemeinsamkeiten feststellen, die natürlich darauf zurückzuführen sind, dass beide Bücher, Thora und Koran, denselben heiligen Ursprung haben.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie können Judentum und Islam als gemeinsame Kraft in Deutschland gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit eintreten?
Frau Brigitte Schulz: Eine Idee wäre, Studenten und Religionsfachleute zusammenzubringen und ein Programm aufzubauen, um alle Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und die Grundsätze der beiden Religionen zu erörtern. Mit diesem Programm könnte dann eine Info- und Sensibilisierungskampagne gestartet werden, zum Beispiel mit Plakaten an den Bushaltestellen, oder Musik/Rap Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen (auf den Straßen, neben Einkaufszentren, usw.). Juden und Muslime müssen sich erst kennenlernen und dann gemeinsam, mit einer einzigen Stimme, nach Außen treten und die Mehrheitsgesellschaft sensibilisieren und informieren. Es wäre darüber hinaus auch von wesentlicher Bedeutung, eine Menschenrechtsorganisation zu gründen. Diese sollte aus jüdischen und muslimischen Fachleuten sowie aus kompetenten und interkulturellen Sozialarbeitern und Soziologen bestehen. Es sollte auch auf juristischer Ebene eine starke und enge gemeinsame Interessensvertretung ins Leben gerufen werden, um eine effektivere Bekämpfung des Antisemitismus und der Islamfeindlichkeit in Einem zu fördern. Ich möchte aber an dieser Stelle auch anführen, dass die arabischen Muslime auch „Semiten“ sind. Daher finde ich die Anklage, die Araber seien Antisemiten einen inneren Widerspruch. Anstatt Semiten zu beschuldigen, Antisemiten zu sein, sollte man wohl eher die Gesellschaft darüber informieren, dass Muslime und Juden seit jeher verwandt sind und daher keine Fremde.
Frau Brigitte Schulz: Bei dieser Frage dachte ich sofort an ein Lebensmittelgeschäft in Paris: dort werden Lebensmittel angeboten, die den jüdischen und muslimischen Essensregeln entsprechen. Ich denke nicht, dass dort unglaublich viele Freundschaften geschlossen werden, aber die Tatsache im selben Geschäft einzukaufen, finde ich besonders rührend. Es wäre deshalb auch sehr angenehm, Cafés oder Gaststätten in Deutschland zu haben, die sich an die jüdischen und muslimischen Essensregeln halten. Das Koscher genügt den Halal-Anforderungen, umgekehrt gilt dies aber nicht. Denn das Halal Essen ist eine vereinfachte und gelockerte Variante des Koschers. Es wäre schön, solche Orte, an denen man nach den jüdischen und muslimischen Essensregeln essen kann, besonders den Jugendlichen zugänglich zu machen. Die Jugend ist schließlich unsere Zukunft. In Berlin ist zum Beispiel die Saalam-Schalom Initiative in Neukölln in dieser Hinsicht sehr lobenswert: hier finden Juden und Muslime (aber auch andere) ein Forum, um über Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu sprechen und die Gesellschaft darauf zu sensibilisieren. Die Arbeit dieser Initiative ist nicht nur darauf gerichtet, Juden und Muslime zusammenzuführen, sondern auch bei aktuellen Fragen eine gemeinsame Stellungnahme darzubieten und aktiv (durch Veranstaltungen, Interviews) in der Medien- und Politikwelt für eine Akzeptanz beider Glaubensgemeinschaften zu fördern, und dies ohne Diskriminierung bzw. Bevorzugung einer der beiden Gruppen.
Frau Brigitte Schulz: Wie bereits oben geschildert, stammen viele Muslime und Juden aus dem Nahen Osten und teilen somit dieselbe orientalische Kultur. Aber ein Teil der Muslime und Juden stammen auch aus Mittel- oder Osteuropa: sie gehören zu Europa im selben Masse wie die christliche Mehrheit. Da viele Menschen, die aus einer muslimischen oder jüdischen Familie stammen, sich von der Religion distanzieren, indem sie diese nicht mehr praktizieren oder den Glauben verlieren, kann man nicht auf die interkulturelle Komponente verzichten. Die interkulturelle Dimension ist nämlich besonders wichtig angesichts der Tatsache, dass die Missstände, Vorurteile, Missverständnisse und vor allem die Desinformation den neuen Generationen automatisch weitergegeben werden, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Ich denke auch an einige Dörfer in Marokko, wo Juden und Muslime Nachbarn sind: sie stammen alle aus demselben Ort und leben hier seit Jahrhunderten zusammen. Ihr Zusammenleben ist ein Beispiel dafür, dass Juden und Muslime sehr wohl miteinander in einer Gemeinschaft leben können. In Marokko ist es die gemeinsame Identität als Marokkaner, die eine wichtige Rolle spielt, um diese Menschen zusammenzubringen. In Deutschland ist es die deutsche Identität, die den gemeinsamen Nenner darstellt. Es wäre deshalb schön, dieses mögliche Zusammenleben zu genießen, die Vorteile dieses Zusammenlebens zu erkennen und die Unterschiede erstmals auf die Seite zu legen.