Prof. Dr. Steffen Fleßa – Patientenwürde, Tod und Krankenhausmanagement
Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit Prof. Dr. Steffen Fleßa, Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Gesundheitsmanagement an der Universität Greifswald. Ich habe im Gespräch mit Prof. Dr. Fleßa auf die Würde des Kranken und Sterbenden fokussiert. Der Tod lässt sich nicht von der Technologie besiegen. Er bleibt. Und Sterbende haben ihre Würde, die wir ihnen nicht nehmen dürfen. Der Patient ist ein soziales Wesen und muss ganzheitlich wahrgenommen werden, so Prof. Fleßa, und dies darf nicht der ethischen Orientierung Einzelner überlassen werden, sondern ist Aufgabe der Krankenhäuser als Ganze.
Kranke und Sterbende haben das Recht auf ihre Würde. Welche sind die Hindernisse, welche die Chancen, damit dies auch wirklich so sein kann?
Die erste Frage wäre ja: Was bedeutet hier Würde? Wir haben den Patienten ein „schmerzfreies Krankenhaus“ versprochen – und können es nicht halten. Wir sind schon froh, wenn wir ein schmerzarmes Krankenhaus schaffen, aber manchmal leiden Patienten furchtbare Schmerzen. Würde kann auch Freiheit bedeuten, aber was, wenn der Patient nicht mehr selbst entscheiden kann? Würde kann Sicherheit implizieren, auch die Sicherheit vor dem „unnötigen“ Tod. Würde kann Zuwendung Liebe bedeuten, aber dafür bleibt so wenig Zeit. Würde erfordert auch einen würdevollen Rahmen: Sauberkeit, Platz, Ruhe, angenehme Farben, … und das ist für jeden etwas anders. Ich finde es gar nicht so einfach zu definieren, was würdevolles Kranksein und Sterben bedeutet. Auf jeden Fall ist ein Sterben auf einer deutschen Intensivstation voller Sicherheit, aber meist nicht voller Zuwendung, Freiheit und würdevollem Rahmen. Mein Ansatz wäre, dass Patienten (oder solche, die es mal werden) sich rechtzeitig selbst Gedanken machen, was sie unter Würde verstehen. Und dann dies auch in ihrer Patientenverfügung festlegen. Das kann einen Ressourcenkonflikt implizieren, muss es aber nicht. Ein „würdevolles“ Hospiz ist meist preisgünstiger als eine Intensivstation.
Wie widersprechen sich manchmal in unserem Zeitalter die Rechte der Patienten auf Würde und die medizinische Technologie, die alles kann?
Meinen Sie wirklich „die alles kann“ oder eher „die vorgibt, alles zu können“? Wir werden den Tod nicht besiegen. Und die Technologie ist so häufig ein Segen. Wenn ein Mensch den festen Willen hat, auf jeden Fall zu überleben oder zumindest so lange wie möglich zu leben, sind Technologen ein Garant für Würde. Wenn ein Mensch einfach nur im Kreis seiner Lieben Abschied nehmen will, sind sie häufig hinderlich. Wenn wir aber meinen, den Tod als großen Feind besiegen zu müssen, werden wir natürlich bis zum letzten alle Technologien einsetzen – egal zu welchen Kosten und zu welchem Leid.
Wie kann man am besten die Würde todkranker Kinder respektieren?
Da bin ich wirklich kein Fachmann – nur zweifacher Vater. Aber wenn ich an meine eigenen Kinder denke, dann würden mir natürlich Dinge einfallen, die kranken Kindern wichtig sind: Schmerzarmut, ständige (24 Stunden, wenn nötig!) Nähe zu einer Bezugsperson, Freundlichkeit und Zugewandtheit des Personals, Spielkameraden, einen Raum zum Toben (so weit man das halt krank kann) ohne Erwachsene (z.B. Schwerstkranke in einem Hospiz) zu stören, … Auch hier nur ein Eindruck – keine Expertenmeinung. Der Sohn (15) einer befreundeten Familie starb vor kurzem an Krebs. Es war ein langer Prozess, bei dem auch längere Zeit klar war, dass die Genesung extrem unwahrscheinlich sein würde. Auch ein 15jähriger fragt in dieser Situation nach den „letzten Fragen“: Woher komme ich? Warum habe ich diese Krankheit? Wie ist Sterben? Was kommt danach? Gibt es jemanden, der mich so unendlich liebt, dass er auch „dort auf mich wartet“? Würde eines schwerstkranken Kindes verlangt, dass wir uns diesen Fragen stellen und dem Kind Begleiter sind.
Wie wichtig ist ein holistischer Ansatz in der Medizin für die Wahrung der Patientenrechte?
Aus obigen geht sicherlich hervor, dass wir nur dann die Patientenrechte wahren können, wenn wir den Patienten in allen Dimensionen wahrnehmen. Er ist natürlich Leib und verlangt nach Medizin. Er ist aber auch Geist und möchte sein Schicksal verstehen. Er ist aber auch Seele – der notorische Sinnsucher, dem in dieser Situation die zentralen Fragen des Lebens umtreiben. Und er ist ein soziales Wesen, das in Leid und Sterben nicht alleine sein möchte, Beziehungen heilen und auch Vergebung erfahren möchte. Die Dimensionen sind dabei in enger Beziehung. Heilung bzw. Linderung des Körpers allein ist vielleicht bei der Appendektomie möglich, nicht bei Schwerstkranken und Sterbenden.
Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Menschenrechte der Patienten?
Ich kann dies nicht juristisch umfassen, sondern muss es aus der Würde ableiten. Wie oben dargestellt, würde ich Schmerzarmut, Entscheidungsfreiheit, Sicherheit, Zuwendung und Liebe als wichtige Patientenrechte ansehen. Natürlich auch eine Behandlung auf State-of-the-Art.
Wie wichtig ist eine menschenrechtliche Ausbildung von Ärzten für die Zukunft der Palliativversorgung?
Natürlich muss man das wissen – aber es ändert nicht viel. Entscheidend ist die Kultur des Hauses, und das muss einerseits vom Krankenhausmanagement strukturiert werden, andererseits muss es von den Chefärzten gelebt werden. Aus meiner Sicht ist die ganze Fragestellung Aufgabe der Krankenhausleitung, sie darf nicht dem Zufall oder der ethischen Orientierung des einzelnen Arztes bzw. der einzelnen Pflegekraft überlassen werden. Eine professionelle Zuwendung an den Patienten unter Wahrung seiner Patientenrechte ist Führungsaufgabe. Auch Krankenhausmanager müssen das wissen!
Zum Thema finden Sie hier noch unser gestriges Interview mit Dr. med. Thomas Sitte von der Deutschen PalliativStiftung.
https://promosaik.blogspot.com.tr/2016/11/prof-dr-steffen-flea.html