„Nicht über die Köpfe der Palästinenser hinwegsprechen“ProMosaik e.V. im Gespräch mit Adri Nieuwhof über Palästina

Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. Ein Interview mit Adri Nieuwhof über Palästina. Adri Nieuwhof hat Jahre lang als Mitarbeiterin des Niederländischen Komitees für Südafrika gegen das Apartheidregime in Südafrika gekämpft. In den letzten zehn Jahren unterstützte sie Menschenrechtsorganisationen in Palästina und Israel. Sie schreibt für das Newsportal The Electronic Intifada. Sie engagiert sich vor allem für die BDS-Bewegung. https://electronicintifada.net/blogs/adri-nieuwhof
 
Milena Rampoldi: Welche Hauptthemen behandelst du in deinen Artikeln?
Adri Nieuwhof: Ich habe viel über die israelischen Verletzungen des internationalen Rechts und die Auswirkungen dieser auf das Leben der Palästinenser geschrieben. In meinen Artikeln zeige ich auf, wie westliche Unternehmen und Institutionen an diesen Verletzungen beteiligt sind. So habe ich beispielsweise über den französischen Konzern Veolia und seine Teilnahme an der Entwicklung und Nutzung der S-Bahn geschrieben, die Westjerusalem mit den illegalen israelischen Siedlungen um das besetzte Ostjerusalem verbindet. Diese S-Bahn spielte eine entscheidende Rolle in der israelischen Kolonisierung des palästinensischen Ostjerusalem. Gemäß der Genfer-Konvention ist es ein Kriegsverbrechen, wenn man als Besatzer die eigene Bevölkerung in ein besetztes Gebiet bringt. Die Teilnahme des Konzerns Veolia am Projekt der S-Bahn kommt einer Mittäterschaft in einem Kriegsverbrechen gleich. Dies widerspricht den internationalen Verpflichtungen der Unternehmen.
 
MR: Welche sind die wirkungsvollsten Strategien, um Palästina aus dem Ausland aus zu unterstützen?
AN: Ich finde es wichtig, dass wir die Palästinenser in ihrem Kampf für die Freiheit, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit unterstützen. Im Jahre 2005 kam eine große Mehrheit des palästinensischen Volkes dem internationalen Aufruf zwecks Boykottierung, Desinvestment und Sanktionen (BDS) gegen Israel nach. Es ist somit unsere Aufgabe, uns dafür einzusetzen, dass sich Israel endlich an das Völkerrecht hält und die Rechte der Palästinenser vollkommen respektiert. In vielen Ländern sind Gruppen aktiv geworden und haben erreicht, dass weltweit eine ganz klare Botschaft ausgesprochen wird. Unternehmen und Institutionen, die an den israelischen Verstößen gegen das internationale Recht mitwirken, werden zur Verantwortung gezogen.
 
MR: Warum ist die BDS-Bewegung so wichtig? Welche sind ihre Erfolge und welche die Herausforderungen an sie?
AN: Die BDS-Bewegung ist wichtig, weil sie für jeden, der sich vom Kampf der Palästinenser betroffen fühlt, eine Handlungsperspektive anbietet. Du kannst frei wählen, ob du den Boykott der Verbraucher unterstützen möchtest, keine Produkte aus Israel zu kaufen oder ob du in Gruppen aktiv mitwirken möchtest, die eine Kampagne gegen Unternehmen organisieren, die Geschäfte mit Israel machen.
Die BDS-Initiativen sind vor allem wichtig, weil sie in die Lage versetzen, über die Geschichte der Besatzung und Kolonisierung Palästinas zu berichten und über die Diskriminierung der Palästinenser im heutigen Israel zu sprechen. Wenn mehr Menschen mehr Informationen über die Lage erhalten, dann beeinflusst dies am Ende auch die Politik. Die anderen Regierungen müssen die israelische Regierung zur Ordnung aufrufen, damit ihre Verstöße gegen das Völkerrecht endlich ein Ende nehmen.   
In zehn Jahren ist die BDS-Bewegung stark gewachsen. Dies ist u.a. an der Anzahl der Länder ersichtlich, in denen die BDS-Bewegung aktiv ist. Einige Unternehmen, die unter Beschuss geraten sind, haben am Ende beschlossen, ihre Fabriken aus den Niederlassungen in den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Beispiele sind Unilever, AssaAbloy, SodaStream und Ahava. Veolia hat sich inzwischen vollkommen aus Israel zurückgezogen, aber dies befreit das Unternehmen nicht von seiner Pflicht, an die Palästinenser Schadenersatz für den verursachen Schaden zu bezahlen.
Die Herausforderung besteht darin, unsere BDS-Tätigkeiten hartnäckig fortzusetzen, ohne uns von den pro-israelischen Kräften einschüchtern zu lassen. Das Recht steht auf unserer Seite, und unsere Tätigkeiten stellen ein Hoffnungszeichen für die Palästinenser dar.
 
MR: Erzähle uns bitte, wie die Kinder in den israelischen Gefängnissen derzeitig behandelt werden?
 
 

Nachtdurchsuchung in Nabi Saleh, 2011. (Tamimi Press)
 
 
AN: Jedes Jahr werden nach einer Schätzung 500 bis 700 palästinensische Kinder verhaftet und von israelischen Militärgerichten verurteilt. Im Oktober waren es 320, wovon einige noch nicht mal 12 Jahre alt sind. Die Mehrheit von ihnen wird wegen des Steinewerfens verurteilt. Dafür wird eine Höchststrafe von 20 Jahren verhängt. Das Verfahren vor dem Militärgericht läuft nicht fair ab. Die Kinder werden oft in Abwesenheit ihrer Eltern und ohne einen Rechtsbeistand befragt. Die Befragung erfolgt nach einer Verhaftung mitten in der Nacht durch zwei bewaffnete Soldaten. Sie werden mit Handschellen gefesselt und mit verbundenen Augen abgeführt. Auf dem Boden eines Militärfahrzeuges liegend werden sie an den Ort der Befragung gebracht. Viele Kinder berichten, dass sie bei der Verhaftung und während des Verhörs schlecht behandelt werden. Schläge, enge Handschellen und Drohungen durch die Vernehmungsbeamten sind eher die Regel als die Ausnahme. Der Organisation Defence for Children Palestine zufolge wurde ein Viertel der Kinder gezwungen, ein in hebräischer Sprache verfasste Geständnis zu unterzeichnen, obwohl sie nur Arabisch sprechen (vgl. hierzu: http://www.dci-palestine.org/issues_military_detention). Die im Oktober ausgebrochene Revolte im besetzten Westjordanland, inklusive Ostjerusalem, wurde vor allem von Jugendlichen angeführt. Daraus folgt, dass die Anzahl der palästinensischen Jugendlichen in Haft erschreckend zunimmt.  
 
MR: Wie können wir die palästinensischen, politischen Gefangenen unterstützen?
AN: Das britisch-dänische Unternehmen G4S hat Verträge mit dem israelischen Gefängnisdienst abgeschlossen. Die Gefängnisse, in denen sich die palästinensischen politischen Gefangenen aufhalten, sind mit G4S-Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet. Die meisten palästinensischen Gefangenen aus den besetzten Gebieten werden in den Gefängnissen des heutigen Israels gehalten. Die Überführung dieser Palästinenser nach Israel ist ein Kriegsverbrecher. Das Unternehmen G4S befindet sich in der Schusslinie der BDS-Bewegung, vor allem wegen der von ihm gespielten Rolle in der Sicherheitsausstattung der israelischen Gefängnisse. Die Teilnahme an den Aktionen gegen G4S ist eine Art und Weise, um die palästinensischen Gefangenen zu unterstützen. Wir müssen verhindern, dass Institutionen und Staaten von den Dienstleistungen des Unternehmens G4S Gebrauch machen und dass keine Rentenfonds in das Unternehmen investieren.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, am palästinensischen Tag für die politischen Gefangenen, am 17. April, der Lage der Gefangenen zu gedenken. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Addameer, die sich für die Rechte der palästinensischen Gefangenen einsetzt, gibt viele Informationen darüber: http://www.addameer.org/Campaign/StopG4S
 
 
Screenshot aus der Webseite von G4S Israel. Hier werden Bilder des „Sicherheitsgefängnisses“ von Ofer in den besetzten palästinensischen Gebieten gezeigt (Präsentation von November 2011)
 
 
MR: Wie wichtig ist es, sich zu vernetzen, um Informationen und die Wahrheit über den Widerstand gegen das israelische Regime zu verbreiten?
AN: Die Zusammenarbeit und die Teilung von Informationen sind der Schlüssel für den Erfolg dieses Kampfs. Aber das Wichtigste ist, dass die Informationen, die wir verbreiten, auch auf einer glaubwürdigen Untersuchung basieren. Außerdem halte ich es für wichtig, dass wir nicht über die Köpfe der Palästinenser hinwegsprechen. Das ist ihr Kampf, und wir unterstützen diesen Kampf. Wir müssen uns versichern, dass wir ihnen auch zuhören und ihrer Stimme auch Nachdruck verleihen.

 

http://promosaik.blogspot.com.tr/2015/12/promosaik-ev-im-gesprach-mit-adri.html