Geert Mak: Ein niederländischer Soziologe erklärt den Mord an van Gogh
Rezension zu: Mak G., Der Mord an Theo van Gogh, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005.
Quelle: http://www.geertmak.nl/de
Theo van Gogh ist eine kontroverse Persönlichkeit, ohne Zweifel. Zu Beginn seines Buches beschreibt ihn der niederländische Soziologe, der meines Erachtens genau den Ton trifft: „Das Opfer indessen, das kannten wir nur allzu gut. Als Mitbürger, Feind, Freund, Kollegen, Nachbarn, Vater, Spinner vom Dienst, Antisemiten, Schuft. Und trotzdem: Dieser einsame Tote war unser Spinner, unser Schuft“.
Der 2. November 2004 bedeutete für die Niederländer wie für ganz Europa einen großen Schock, und die Idee der „Integration“ und der „multikulturellen, toleranten Gesellschaft“ schien ganz schön ins Schwanken gekommen zu sein. Das Paradoxe und meiner Meinung nach auch Traurige an diesem brutalen Mord ist, dass van Gogh gar nichts oder fast gar nichts mit dem Film „Submission“ zu tun hatte… er war gar nicht das wahre Ziel des Mörders, wie aus dem Brief hervorging, den man an seinem Leib fand… War somit Theo van Gogh, der Schuft, wie ihn der Autor nennt, zufällig gestorben?
Kann man van Gogh wirklich als einen Geistesverwandten von Ayaan Hirsi bezeichnen, die eigentlich die wahre Autorin des Films ist, oder war van Gogh nicht einfach mit allen geistesverwandt, die alles zynisch betrachteten und kritisierten? Er war aber auch derselbe Van Gogh, der den interkulturellen Film der Liebe zwischen zwei Kindern aus zwei verschiedenen Kulturen geschrieben hatte… und zwar Najib und Julia.
Was Mak meines Erachtens so schön erkennt ist, dass die Reaktion auf den Mord eigentlich brutaler war als der Mord an sich. Warum behauptet Mak so was? Wie sollte die Reaktion auf einen Mord schlimmer sein als dieser Gewaltakt an sich? Die Erklärung folgt nach einigen Seiten, als der Autor schreibt: „Aber letzten Endes … betraf all das nur einen Bruchteil der Immigranten“. Für den Soziologen Geert Mak ist der junge Marokkaner eine Ausnahme, eine absolute Minderheit in der multikulturellen Gestaltung der niederländischen Gesellschaft.
Der Autor schreibt des Weiteren:
„Die echten Problemfälle machten 0,04 Prozent der moslemischen Bevölkerung aus“.
Für Mak war der Mord an Van Gogh „eine Kombination dreier explosiver Elemente: extremer religiöser Gewalt, einer sehr komplizierten öffentlichen Person, plus einem religiös aufgeladenen Kurzfilm voll doppelter Botschaften“.
Er kritisiert zwischen den Zeilen aber sehr stark die Position der Abgeordneten Hirsi Ali, welche Vorschläge wie den der Einschränkung der klassischen Grundrechte für Muslime unterbreitet, was für den Soziologen eine ernstzunehmende Tendenz darstellt.
Der für mich zentrale Satz des Buches lautet:
„Demütigen und Diskriminieren von Minderheiten konnte – und kann niemals zur ultimativen „Meinungsfreiheit“ erhoben werden“.
Es geht kurzum um das Risiko der Stigmatisierung von Minderheiten in einem Land, in diesem Falle um die Niederlande, die wegen ihrer liberalen und toleranten Haltung bekannt waren.
Die vierfache Charakterisierung der muslimischen Frau im Film Submission als verprügelt, systematisch vergewaltigt, Ehebrecherin und Inzestopfer ist auf jeden Fall limitativ und betrifft wiederum in allen Kulturen und Religionen die Minderheit.
Dass wir uns mit der Bekämpfung von Gewalt, Vergewaltigung und Inzest auseinandersetzen müssen, ist absolut klar. Dies gilt heute für alle Gesellschaften. Aber die Verbindung der Gewalt gegen die Frau mit den Koranversen klingt wie Koppelung von heiligen Texten der Torah mit den Juden im NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“.
Im Sinne von ProMosaik würde ich abschließend unseren Leserinnen und Lesern sagen:
Stigmatisierung, Religionsfreiheit, Pseudotoleranz, Grenzen der Toleranz sind Themen, mit denen wir uns tagtäglich auseinandersetzen sollten. Wir sollten uns einfach fragen: Wie viel Beleidigung und Intoleranz kann noch als Meinungsfreiheit bezeichnet werden? Wie viel ist in Submission noch Meinungsfreiheit und wie viel Stigmatisierung?
Dr. phil. Milena Rampoldi
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