Ein Interview mit Robert Fantina: Islamfeindlichkeit, Palästina, Zionismus, Militarismus und mehr
von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. Unser Interview mit Robert Fantina über eine Menge von Themen, die wir uns mal aus der Perspektive eines US-kritischen Autors anhören wollten, nun auch in deutscher Übersetzung. Robert Fantina ist Aktivist und Journalist und engagiert sich für den Frieden und die soziale Gerechtigkeit. Er schreibt sehr viel über den US-Imperialismus und die israelische Unterdrückung der Palästinenser. Er ist auch der Autor von zwei Sachbüchern:Desertion and the American Soldier: 1776 – 2006 und Empire, Racism and Genocide: A History of U.S. Foreign Policy. Ein anderes seiner Werk ist der pazifistische Roman aus der Zeit des Vietnamkrieges mit dem Titel Look Not Unto the Morrow.
Fantina ist US-Staatsbürger, aber nach der Präsidentschaftswahl von 2004 zog er nach Kanada, wo er nun in der Nähe von Toronto in Ontario lebt. Um mehr über den Autor zu erfahren, können Sie auch gerne seine Webseite unterhttp://robertfantina.com/ besuchen.
Milena Rampoldi: Welche sind die problematischsten Aspekte der Islamophobie in den USA?
Robert Fantina: Diese schreckliche Angelegenheit umfasst verschiedene Aspekte. Aber der wesentlichste bezieht sich auf die physische Bedrohung von Muslimen. Obwohl sie nicht endemisch ist, nimmt sie offensichtlich zu. Und solange die Regierungsmitglieder und Präsidentschaftskandidaten wie Donald Trump in Zusammenarbeit mit den Unternehmensmedien weiterhin Terrorismus und Islam gleichsetzen, wird diese Gefahr nur noch zunehmen.
Ersichtlich ist das Ganze an der großen Akzeptanz bewaffneter Umzäunungen von Moscheen. In den USA wären alle Regierungsmitglieder erschüttert, wenn eine bewaffnete Gruppe von Muslimen eine christliche Kirche oder eine jüdische Synagoge umzingeln würde. Wenn aber das Gegenteil geschieht, kommt es zwar in die Nachrichten, aber die Schuldigen werden als mutige Amerikaner beschrieben, die sich über die USA einsetzen.
MR: Ich bin der Meinung, dass der pro-palästinensische Aktivismus in den USA etwas Besonderes an sich hat, weil die USA Israel sehr stark unterstützen. Wie können wir dagegen schreiben?
RF: Die USA sind zweifelsohne ein wichtiger Verbündeter Israels. Dies ist vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, auf die Macht des American Israel Political Affairs Committee zurückzuführen. Diese Lobby investiert Millionen Dollar in Kampagnen von Regierungsmitgliedern, die sich damit einverstanden erklären, über die israelischen Menschenrechtsverletzungen und über die Verletzungen des internationalen Gesetzes hinwegzusehen. Aber es gab eine Verschiebung, vor allem nach der Reaktion auf die genozidalen Bombenangriffe Israels gegen den Gazastreifen im Sommer 2014. Vorher wurden die US-Staatsbürger über die israelische Unterdrückung der Palästinenser nur durch die Nachrichten der Unternehmensmedien informiert. Aber die sozialen Medien zeigen die Nachrichten völlig anders. Jeder, der eine Kamera und einen Internetzugang ist, ist in der Lage, Informationen weiträumig zu verbreiten. Twitter, Facebook und die anderen sozialen Medien sind in den letzten Jahren ungemein gewachsen. Und hier können die Menschen sehen, was sich in der Welt auch wirklich ereignet. Die leidenden Menschen in Gaza konnten Bilder von toten und zerfleischten Kindern zeigen, deren einziges Verbrechen darin bestand, auf dem Strand zu spielen. Sie konnten die Szenen verzweifelter Eltern, gebombter Krankenhäuser und ermordeter Journalisten zeigen. All diese Informationen waren in der Vergangenheit nur auf wenige, kleinen alternativen Nachrichtenprogrammen zu sehen. Jetzt sind sie hingegen weiträumigen in den sozialen Medien verbreitet. Im Westjordanland werden die Bilder der Kontrollpunkte, die gut klingen, wenn es keine Aufnahmen davon gibt, wirklich und sprechen vom verschwiegenen Leid, das sie verursachen.
Die Nutzung der sozialen Medien ist ein lebendiges Werkzeug im Kampf des palästinensischen Volkes für Menschenrechte und Gerechtigkeit.
MR: Was bedeuten für dich persönlich Zionismus und Antizionismus?
RF: Der Zionismus ist der teilweise religiöse, aber größtenteils politische Standpunkt, nach dem das Land von Palästina die Heimat des jüdischen Volkes ist. Diejenigen, die sich hinter dem religiösen Aspekt des Zionismus verbergen, legen eine unglaubliche Scheinheiligkeit an den Tag, denn es kann keine Gerechtigkeit geben, wenn man Menschen tötet und ethnische Säuberungen betreibt.
Der Antizionismus ist der Standpunkt derer, denen klar geworden ist, dass die ethnische Säuberung falsch ist und die dementsprechend handeln; der Antizionist ist überzeugt, dass allen Menschen dieselben grundlegenden Menschenrechte und dieselbe Würde zustehen; die Antizionisten sind auch der Ansicht, dass die biblischen Texte sehr frei interpretiert werden können und nicht dazu verwendet werden dürfen, um die Zerstörung eines Landes und den Aufbau eines anderen zu rechtfertigen. Der Antizionismus schließt auch ein, dass man ein leidendes Volk unterstützt und sich denen widersetzt, die dieses Leid verursachen.
MR: Welche sind die wichtigsten Themen, die du in deinen Artikeln behandelst und warum?
RF: Meine gesamte Arbeit dient der Unterstützung der Menschenrechte. Ich schreibe hauptsächlich über die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Israel und über den US-Militarismus. Beide Themen betreffen schwere Menschenrechtsverletzungen. Ich habe schon einige Aspekte der israelischen Besatzung angeführt. Der US-Imperialismus bringt Tod, Zerstörung und ungemeines Leid in die gesamte Welt. Des Weiteren wird die brutale Unterdrückung des palästinensischen Volkes seit Jahrzehnten von den USA finanziert und vollkommen unterstützt.
Am 4. April 1967 sprach der Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King von den USA als vom „größten Gewaltausüber der Welt.“ In fast fünfzig Jahren nach dieser Äußerung bleibt diese wahr. Die einzige Veränderung betrifft die Technologie, die das Töten nun viel einfacher gestaltet. Die Soldaten können in einem Büro in einer Entfernung von Tausenden von Meilen sitzen und Zielpersonen ermorden. Unzählige, unschuldige Menschen sterben mit jedem Drohnenangriff. Der sogenannte, derzeitige „Krieg“ gegen den Islamischen Staat (allgemein als ISIS oder ISIL bezeichnet) tötet und vertreibt Tausende unschuldiger Männer, Frauen und Kinder.
MR: Für ProMosaik ist der Militarismus ein allgemeines Problem der Zivilgesellschaft. Wie können wir den Menschen erklären, dass wir uns in unserem Alltagsleben dem Militarismus widersetzen müssen?
RF: Es gibt verschiedene Faktoren, die ich in Antwort auf diese Frage anführen möchte. Die USA, und der Großteil der Welt verherrlichen die Soldaten und den Krieg. In den USA werden die Soldaten als Helden und als Männer und Frauen gesehen, die ihr Leben für die geliebten Freiheiten aufs Spiel setzen. Dieser Mythos muss zerstört werden. Die Soldaten sind Schachfiguren in den Spielen der Politiker und derer, die im Krieg Geld machen. Was die USA Verteidigungsindustrie nennen, ist nichts anderes als die Herstellung von Waffen, um diese anderen Ländern zu verkaufen oder sie selbst zu nutzen und große Gewinne herauszuschlagen. Die Militärausrüster schenken Millionen von Dollar den Kampagnen der Amtspersonen, die weiterhin den Krieg unterstützen werden, damit sie weiterhin daran verdienen können.
Zweitens sind die verschiedenen „Feinde“, die die USA endlos bekämpfen nichts anderes als Kreationen der USA und somit Ausreden, um die Waffen der „Militärausrüster“ zu kaufen und zu verwenden. Manchmal, wie beispielsweise im Irak unter Saddam Hussein oder in Afghanistan unter den Taliban, haben die USA Regierungen an die Macht gebracht. Und als diese Regierungen sich weigerten, den Diktaten der USA zu folgen, nannten die USA sie Feinde und zettelten Kriege gegen sie an. In anderen Fällen fokussieren die USA auf eine bestimmte „Verdrehung“ eines Glaubens oder einer Philosophie und sehen sie als Feinde an. Während des Zeitalters des Kalten Krieges war der Feind der Kommunismus. Die USA sahen auf die repressiven kommunistischen Regierungen und behaupteten, dass diese und der Kommunismus an sich die Lebensweise der USA bedrohten. Heute sieht die Regierung auf bestimmte Völker, die den Islam verdrehen und sagen, der Islam wäre der Feind.
Schließlich müssen die Menschen in den USA verstehen, dass die Menschen, die gebombt werden, genauso sind wie sie selbst. Diese unschuldigen Opfer wollen nur in Ruhe leben, in die Schule gehen und arbeiten, ihre Familien über die Runden bringen, usw. Sie bluten genau gleich wie die US-Bürger; sie lieben ihre Kinder genauso wie die US-Bürger ihre Kinder lieben. Sie sprechen eine andere Sprache; sie kleiden sich anders als die US-Bürger es erwarten, und ihre Gebetshäuser haben vielleicht keine Kirchtürme, aber das sind oberflächliche Unterschiede. Und die Regierung fördert die Xenophobie, und die breite Masse akzeptiert sie.
MR: Es sieht so aus, als wären Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden heute Mangelware … was gibt dir Hoffnung?
RF: Ja, das stimmt; Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden sind heutzutage in vielen Teilen der Welt Mangelware. Was mir Hoffnung gibt, sind die Stärke und Widerstandsfähigkeit, die ich in den Palästinensern sehe, die ich kenne. Wenn ich über die sozialen Medien die Möglichkeit habe, mit meinen Freunden im Gazastreifen oder im Westjordanland zu sprechen, und ihren Mut in allen kleinen Aspekten des Lebens wahrnehme, so gibt mir das Hoffnung. Sie gehen z.B. weiterhin zur Schule, obwohl es öfters Stromausfälle gibt. Sie heiraten, gebären Kinder und bemühen sich, ihnen die richtigen Werte beizubringen. Sie arbeiten, wenn sie können, obwohl alles von den israelischen, von den USA finanzierten Bomben zerstört wurde: ihre Häuser, ihre Geschäfte, ihre Schule und ihre Krankenhäuser.
Was mir noch Hoffnung gibt, sind viele Menschen, die sich weltweit für den Frieden und die soziale Gerechtigkeit einsetzen. Die Kriegstreiber sind wahrscheinlich im Moment stärker als die Pazifisten, aber sie sind nicht zahlreicher. Menschen, die an den Frieden und die Menschenrechte glauben, werden immer mehr erhört.
Ich gehöre zu ihnen und werde weiterhin schreiben und sprechen, damit meine Stimme und die Stimmen der leidenden Menschen auf dieser Welt erhört werden.
http://promosaik.blogspot.com.tr/2015/12/ein-interview-mit-robert-fantina.html