Aly, Samir (2002): Das Bild der islamischen Welt in der westdeutschen Presse in den 70er Jahren. Eine Inhaltsanalyse am Beispiel ausgewählter überregionaler Tageszeitungen
von Dr. Sabine Schiffer.
Samir Aly untersucht in seiner Dissertation die Presseberichterstattung der SZ, FAZ, FR, BILD und WELT in einer stark durch die Entkolonialisierung geprägten Phase der Geschichte anhand einer sehr umfangreichen Stichprobe der jeweiligen Septembermonate von 1970 bis 1981. Sein bibliografischer Rechercheschwerpunkt scheint ebenfalls in dieser Zeit gelegen zu haben – obwohl gerade in den 90er Jahren interessante Publikationen zum Thema erschienen, konnten diese nur teilweise eingearbeitet werden. Aly trägt die relevanten Momente der Entwicklung des Islambilds über die Jahrhunderte hinweg zusammen und zeigt so die vorhandenen Konstanzen und Varianzen in der Wahrnehmung und Beurteilung von Islam und Muslimen. Er zeigt plausibel, dass durch eine Traditionalisierung gewisser Stereotypen deren Faktizierung stattgefunden hat.
Auch ohne böse Absicht greifen also Wissenschaftler wie Medienschaffende gleichermaßen auf einmal festgeschriebene, vermeintliche „Wahrheiten“ zurück. Nur vier Prozent der „islambezogenen“ Berichterstattung behandeln wirklich das Thema Islam. Damit bestätigt er die Arbeiten von Hafez und anderen, die bereits darauf hinwiesen, dass das Islambild sozusagen en passant im Zuge der Auslandsberichterstattung zustande kam. Aly berücksichtigt über die reine Inhaltsanalyse hinaus auch Fragen der Platzierung, Illustration, Ikonografie etc. und scheut keine Mühen, das Korpus im jeweiligen Original der Printausgaben zu untersuchen.
Der Autor wendet sowohl quantitative als auch qualitative Untersuchungsmethoden an. Die Ergebnisse der quantitativen Forschung entsprechen inzwischen erschienen Arbeiten zur Medienberichterstattung allgemein sowie zur Islamberichterstattung im Besonderen. Die qualitative Analyse in Band II zeigt deutlich die Möglichkeiten aber auch die Grenzen der reinen Inhaltsanalyse. Es handelt sich schließlich um eine Aufzählung behandelter Themen. Diese knüpfen an die historischen Vorgaben der 70er Jahre an, sind aber heute genauso aktuell wie vor 30 Jahren – mit zum großen Teil den gleichen tradierten Verzerrungen. Die Primärtexte sind eine Fundgrube und erlauben gleichzeitig die Feststellung, wie qualitativ unterschiedlich einzelne Presseorgane die Thematik behandeln. Die FAZ erhält hier wie insgesamt die besten Noten. Nicht ersichtlich werden in diesem Teil Diskursstränge und die Verzahnung der einzelnen herausgegriffenen Aspekte, die die untersuchten Presseorgane unter dem Themenfeld Islam präsentierten.
DieAuflistung der behandelten Themen entspricht historischen ebenso wie aktuellen Schwerpunkten: die gewaltsame Ausbreitung des Islams, die Unterdrückung der Frau etc.
Der ständige Bezug der Darstellung zum Wertekanon des Islams ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des Buches. Denn einerseits wird deutlich, dass die Innensicht auf den Islam eine andere ist als die Außensicht und dass diese ernster genommen werden muss, wenn man sich wirklich für den anderen interessiert. Jedoch genau dieser ständige Abgleich – was sagen die Medien, was sagt „der wahre Islam“ – kann genau nicht belegen, dass Medienmacher absichtlich eine andere Perspektive einnehmen und bewusst manipulieren. Die Gefahr der Selbstidealisierung ist zudem gegeben sowie die Vermittlung des Eindrucks, es gäbe „den monolithisch, richtigen Islam“. Während Aly zu Beginn seiner Abhandlung noch eine stark intentionalistische und verurteilende Sicht auf die Medienmacher hat, nimmt er am Schluss eine etwas versöhnlichere Perspektive ein. Er entlarvt das Reproduzieren der immergleichen Stereotype als einen fatalen Mechanismus der (fehlerhaften) Geschichtsschreibung, die freilich verbesserungswürdig und zu reflektieren ist – eine Verurteilung des unwissenden Repetitors nimmt er jedoch zurück.
Wie immer, wenn man gezwungen wird, über „die“ und „wir“ zu reden, schreibt man einen Antagonismus fest, der hier als „der Westen“ vs. „die islamische Welt“ bezeichnet werden könnte und zu dessen Überwindung man eigentlich beitragen will. Es bleibt eine offene Frage nicht nur dieser Arbeit, wie man sprachlich die Dinge umsetzen kann, die man bereits als Konzeptionalisierungsproblem entlarvt hat. Auch die Nichtdeklination des Substantivs „Islam“ erhält bereits Fremdheitsempfinden aufrecht – ist aber nicht unüblich. Hingegen ist es aus linguistischer Sicht nicht verwunderlich, dass Begriffe aus einem anderen Bereich metaphorisch entlehnt werden, wie Lakoff und Johnson das beschrieben haben: d.h. dass man Neues, Unbekanntes vergleicht mit etwas, das die Menschen schon kennen, um es ihnen zugänglicher zu machen. Dass dabei wiederum Missverständnisse entstehen, wie etwa wenn christliche Termini zur Beschreibung islamischer Entitäten verwendet werden, ist eine bedauerliche Tatsache, aber noch kein bewusster Manipulationsversuch.
Auch, dass Begriffe, die in der Herkunftssprache immer mehrere Bedeutungskomponenten haben, nur in einer einzigen entlehnt werden und damit eine andere Bedeutung in der Aufnahmesprache haben, ist ein üblicher Vorgang im Sprachenkontakt und keine Spezifik bei der Übernahme islamischer Termini.
Alles in allem trägt Aly eine enorme Fülle an Belegen zum Forschungsstand zum Thema Islamdarstellung bis zum Beginn der 80er Jahre ebenso wie zur Presseberichterstattung allgemein zusammen und damit stellt diese Arbeit ein Grundlagenwerk für alle dar, die sich dieser Thematik widmen. Leider ist mir dieseDissertation bisher entgangen. Sie erschien im Jahre 2002, als ich die Bibliografie zu meiner themenverwandten Dissertation bereits schloss. Dadurch konnte dieseErkenntnissammlung, deren Untersuchungszeitraum vor dem meiner Arbeit liegt, nicht berücksichtigt werden. Die beiden Arbeiten schließen sinnvoll aneinander an und ergänzen und bestätigen sich – was positiv dahingehend gewertet werden kann, dass zwei Forscher unabhängig voneinander und mit einer jeweils anderen Ausgangslage zu einem vergleichbaren Ergebnis kommen.
Alys Darstellung ist dabei sehr ausführlich und oft etwas ausschweifend geraten. So stehen im Ergebnis eine Fülle von Primärtexten der guten Lesbarkeit der Studie gegenüber. Nach Einbettung in den historischen Kontext sowohl der geschichtlichen Entwicklung als auch der Diskursentwicklung sowie der Einführung in die Methodik der zu erwartenden Untersuchung befindet man sich bereits auf Seite 335. Während es ein Verdienst des Autors ist, seine Arbeitsweise transparent zu machen, ist es mühsam, sich durch die Tabellen und deren Essenzen zu finden. Der etwas archaisch anmutende, teils literarische Sprachstil des Autors und der Verbleib im früher üblichen Stil, die eigene Autorenschaft und Meinung nicht direkt zu nennen, sowie die auffallend häufige Verwendung konjunktivischer Formen schafft manchmal einen Eindruck von semantischer Vagheit und Indirektheit. Dem ist aber keine weitere Bedeutung beizumessen, es handelt sich lediglich um einen persönlichen Sprachstil von jemandem, der sich in umfangreichste und vielsprachige Literatur zum Thema eingearbeitet hat. Problematisch ist hingegen die – vielleicht höfliche? – nicht explizite Nennung einiger Protagonisten, die durch Umschreibungen wie „bekannter Soundso„ angedeutet werden. Für den Nicht-Zeitgenossen der 70er Jahre sind diese Anspielungen nicht verstehbar, weil das Wissen um den historischen Kontext und den daran beteiligten Personen häufig fehlt.
Trotz der genannten Schwächen und dem abschreckenden Buchformat gehört dieses Buch in die Reihe der Standardwerke, die sich detailliert mit dem Zustandekommen des Islambildes in unserer Gesellschaft befassen und es bietet einige wichtige Missing Links für das Verstehen so mancher Behauptung heute.
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Die Redaktion von ProMosaik
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