Bilal Wilbert im Interview mit ProMosaik e.V.
Liebe Leserinnen und Leser,
vorab möchte ich mich erneut bei Herrn Bilal Uwe Wilbert dafür bedanken, dass er sich für unsere Redaktion Zeit genommen hat und unsere Fragen beantwortet hat.
Kurz zu seiner Person, falls ihn jemand von Ihnen noch nicht kennen sollte:
Bilal Wilbert ist Mitglied des Bundesvorstandes der BIG-Partei (Bewegung für Innovation und Gerechtigkeit) und Sprecher der „Plattform Antiimperialistischer Freiheitskampf“ in der BIG und setzt sich natürlich in diesem Rahmen, wie auch ProMosaik e.V., für die Freiheit und Unabhängigkeit von Gaza ein.
Wie wir betrachtet er die Tragödie von Gaza zweifach: erstens als eine Verletzung der Unabhängigkeit eines Volkes durch den Kolonialismus des zionistischen Staates und zweitens sieht er die ethnische Säuberung und die aggressive Siedlungspolitik des israelischen Regime gegen die Bevölkerung in Gaza auch als einen Angriff gegen die muslimische Religion und Kultur.
Er war auch als Bundesvorsitzender der MDU (Muslimischen Demokratischen Union) tätig, bis diese sich mit der Big-Partei vereinigte und engagiert sich für die Akteptanz der Muslime und ihre noch so sehr marginalisierten und stigmatisierten Religion in der deutschen Gesellschaft, zu der er als deutscher Konvertit gehört.
Als zum Islam konvertierter Europäer muss man sich immer so viel erklären, offenbaren und mitteilen… man muss auf die sonderbarsten Fragen antworten…. aber was wäre ein Leben ohne sozio-politisches Engagement und ohne den Kampf für die eigenen Überzeugungen?
Anbei nun unsere Fragen, gefolgt von den Antworten von Bilal Wilbert.
ProMosaik e.V.:
1.- Wie war Ihr Weg hin zum Unterstützer Gazas? Wie kamen Sie als Deutscher nach der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und dem NS-Völkermord gegen die Juden u.ä. darauf, die Wahrheit über Israel und Palästina zu erfahren?
ANTWORT:
Ich persönlich komme vor meiner Konversion zum Islam aus einer Linken antiimperialistischen Tradition und habe mich schon immer für die Frage der unterdrückten Völker interessiert. Für mich lag die Wahrheit immer schon auf der Hand. Israel und der Zionismus sind ein Produkt des kolonialen Europas des 19.ten Jahrhundert. Dass es letztlich gerade dann zu Umsetzung dieser Idee kam, just im Moment, als der Kolonialismus in anderen Teilen der Welt an sein Ende kam, ist ein Zeichen dafür, dass sich die s.g. Siegermächte des 2. Weltkriegs eine Tür in den Orient offen lassen wollten. Sie müssen sich einfach mal vorstellen, es war eine Zeit,in der der arabische Nationalismus mit Hilfe der Sowjet-Union entstand und der Einfluss des U.S.A. – Europakomplexes in die arabische Welt verloren ging. Da kamen die Zionisten mit ihrer Idee eines jüdischen Staates im Nahen Osten gerade recht.
Dass diese Idee schon vorher bei den ehemaligen Kolonialmächten auf fruchtbaren Boden fiel bzw. in das Konzept der Kontrolle über die muslimische Welt, zeigen auch solche Erscheinungen wie die Balfour Deklaration. Aber egal wie man es dreht und wendet, Israel ist und bleibt eine westliche Kolonie und hat keinerlei Grundlagen auf ethischer, rechtlicher und moralischer Ebene, um zu existieren. Nun, da dies so ist, kommt der Holocaust zum Einsatz, hier wird das Verbrechen an den europäischen Juden dazu benutzt, um allen Gegnern des israelischen Kolonialstaates, moralisch den Mund zu verschließen. Und gerade hier ist es wichtig, dass wir dies nicht zulassen und es den zionistischen Aktivisten und Agitatoren erlauben, das eine Unrecht zu benutzen, um ein neues Unrecht zu rechtfertigen. Die Existenz Israels ist ungerecht und basiert auf dem Landraub und der Vertreibung eines Volkes, und das ist unakzeptabel.
ProMosaik e.V.:
2.- Welche Änderungen wünschen Sie sich in Deutschland in der Berichterstattung der Medien über Israel und Gaza?
ANTWORT:
Da weiß ich ehrlich gesagt überhaupt nicht so genau, wo ich eigentlich anfangen soll.
Die Berichterstattung in Bezug auf Israel und die Unterdrückung der Palästinenser ist geprägt von der Angst der Journalisten, in ein Fettnäpfchen zu treten, und diese Fettnäpfchen gibt es zu Hauf.
Es gibt in Deutschland von Seiten der politischen Elite und zum Teil auch von der Rechtsprechung die Doktrin:
1. Das Existenzrecht Israels nicht in Frage zu stellen
2. Das Recht Israels auf „Verteidigung“ nicht in Frage zu stellen
3. Das Recht der palästinensichen Kräfte auf Verteidigung mit Waffen, als Terrorismus zu bezeichnen
4. Massive Kritik an Israel gerne als Anti Jüdisch bzw. Antisemitisch zu bezeichnen
Dies macht es in einer Stimmung der Jahrzehnte langen Gehirnwäsche, weder den Medien noch wohlwollenden Politikern einfach, in diesem Nebel der Desinformation eine klare Position pro Gerechtigkeit zu äußern. Sie haben ja gesehen, welche Folgen es für Günther Grass hatte, als er Israel sehr vorsichtig kritisierte und als der Präsident des Europaparlamentes Schulz in einer Rede vor dem Knesset (israelischen Parlament) die israelische Wasserpolitik angriff.
ProMosaik e.V.:
3.- Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen Antisemitismus und dem gesunden, politischen Antizionismus?
ANTWORT:
Antisemitismus ist eine rassistische Ideologie. Allerdings ist es ein ziemlicher Blödsinn, diese mit Antizionismus in Verbindung zu bringen, denn auch die Palästinenser bestehen in ihrer Zusammensetzung aus verschiedenen semitischen Völkern und sprechen eine semitische Sprache (arabisch und zum Teil aramäisch). Ich trenne hier klar zwischen den Juden als Angehörige einer monotheistischen Religion und dem politisch kolonialistischen Konzept des Zionismus. Man versucht hier immer wieder, dies in eine rassistische Ecke zu stellen. Das kann man nicht verhindern, aber es sollte einem auch nicht weiter tangieren.
ProMosaik e.V.:
4.- Was möchten Sie einer israelischen Politikerin wie AYELET SHAKED sagen, die zum Völkermord gegen die Palästinenser aufruft?
ANTWORT:
Frau Shaked, sie stehen in bester Tradition des ehemaligen Südafrikas, der deutschen SS und der britischen Armee, die weltweit Millionen in ihrem imperialen Kolonialreich umbrachten. Sie betreiben Volksverhetzung, und ich fordere die UN auf, sie und ihresgleichen zu verfolgen und vor einen internationalen Gerichtshof zu stellen und dort der gerechten Strafe zuzuführen. Diese Forderung sollte auch für die führenden Politiker und Militärs Israels gelten. Denn welchen Unterschied gibt es letztlich zwischen Netanjahu und Milosevic?
ProMosaik e.V.:
5.- Wie denken Sie können Bewegungen wie Neturei Karta zum Frieden zwischen Israel und Palästina beitragen?
ANTWORT:
Zunächst müssen wir die Fragen stellen, ob es diesen Frieden überhaupt geben kann?
Hat denn jemals ein Arpartheidsgegner damals gefragt, ob es einen Frieden zwischen der afrikanischen Bevölkerung und dem Apartheidsstaat geben kann?
Neturei Karta selbst bezeichnet Israel, religionsrechtlich als illegal und lehnt Israel in seiner Form ab.
Neturei Karta tut etwas sehr richtiges, sie zeigen, dass JUDEN nicht gleich Zionisten sind und weisen darauf hin, dass es in dieser Frage keine Zwangläufigkeit geben muss. Und sie können bei einer Lösung mithelfen, bei der alle Menschen in Palästina gemeinsam einen Staat aufbauen können, in dem Juden, Christen und Muslime gemeinsam in Frieden und in Selbstbestimmung leben können.
Denn Jerusalem/AL QUDS gehört uns allen, Juden Christen und Muslimen.
ProMosaik e.V.:
6.- Wie sehr sind die US- und israelischen Waffenlobbys im Konflikt verwickelt? Wie viel Blut hat Deutschland in Gaza mit seinen Waffenexporten verstreut?
ANTWORT:
Die deutsche Rüstungsindustrie ist weltweit die Nummer 3 bei Rüstungsexporten. Deutschland exportiert Waffen in Länder, in denen ungerechte Herrscher ihr Volk in Geiselhaft halten wie Saudi-Arabien und Katar, und Deutschland exportiert Waffen nach Israel. Es ist ja nicht nur ein einfacher Export, sondern Deutschland sieht sich auch militärisch an der Seite des Zionistenstaats, wie es „unsere“ Kanzlerin immer wieder betont. Also klebt auch das Blut des Palästinensischen Volkes an den Händen der deutschen Rüstungsindustrie und der Poltik.
ProMosaik e.V.:
7.- Wie denken Sie kann Deutschland zum Frieden in Gaza beitragen?
ANTWORT:
Durch einen 180° Wandel in seiner Politik gegenüber Israel. Die Existenz Israels basiert auf der Unterstüzung von USA und Europa, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Ohne diese Unterstützung hätte Israel keine Lebenschance. Deswegen müssen wir diese Unterstützung beenden, damit beenden wir früher oder später auch den Palästina-Konflikt. Konkret heißt das für Deutschland:
1. Einstellung der finanziellen, politischen und militärischen Hilfe für Israel
2. Import- und Export-Verbot für Waren nach Israel und aus Israel
3. Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Israel und Ausweisung seiner Diplomaten und Attaches
5. Nichtanerkennung der Israelischen Staatsbürgerschaft und des israelischen Passes
6. Anerkennung von Palästina als Staat und finanzielle Unterstützung desselben.
ProMosaik e.V.:
8. Wie denken Sie können die Juden in Deutschland zum Frieden in Gaza beitragen?
ANTWORT:
Indem sie aufhören, sich zum Anwalt des Zionismus zu machen, was sie gerade in letzter Zeit oft getan haben.
ProMosaik e.V.:
9.- Wie können Juden und Muslime gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamophobie in Deutschland ankämpfen?
ANTWORT:
Grundvoraussetzung, um mit den jüdischen Verbänden in Deutschland zusammenzuarbeiten ist, dass sie aufhören, Judentum und Israel gleichzusetzen, damit gehen sie der zionistischen Ideologie auf den Leim und tun sich selbst keinen Gefallen. Aber einzelne Juden und jüdischen Gruppen tun das ja schon in Deutschland. Allerdings werde ich persönlich nicht auf einer Demo sprechen oder teilnehmen, auf der die israelische Fahne geschwenkt wird.
ProMosaik e.V.:
10.- Was würden Sie heute Netanyahu sagen, der nur gegen die Anrainerstaaten und ihre Konflikte losgeht, anstatt vor der eigenen Tür zu kehren?
ANTWORT:
Wenn Sie meine Antworten, die ich Ihnen oben gegeben habe lesen, beantwortet sich diese Frage von alleine. Ich will nicht die Probleme Israels lösen, denn Israel selbst ist die Ursache des Problems.
Wir danken Bilal Wilbert für das Interview und freuen uns auf Ihre Zuschriften!
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi
info@promosaik.com
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