Arbeit mit jungen Flüchtlingen: Das Projekt Jugendliche in Not der Glückskette
von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit Daniela Toupane von Glückskette. Mit ihr hatten wir bereits über die allgemeinen Ziele und die Erfolgsgeschichte von Glückskette gesprochen. In diesem Gespräch ging es um das Projekt “Jugendliche in Not” und um die Bedeutung der Erziehung und Bildung, der Chancengleichheit und der Gewaltfreiheit, wenn es um junge Flüchtlinge geht.
Milena Rampoldi: Wie wichtig ist die Jugend für die Zukunft unserer Gesellschaft und welche Hauptziele verfolgt Ihr Projekte Jugendliche in Not?
Daniela Toupane: Die Jugend ist die Zukunft unserer Gesellschaft. Jede Gesellschaft sollte deshalb daran interessiert sein, dass ihre Jugendlichen engagiert und gut ausgebildet sind und sich wohl in ihrer Haut fühlen. Die Teenager-Jahre sind dabei enorm wichtig, denn hier werden die Weichen für die Zukunft gestellt, für die beruflichen Erfolgsaussichten.
Leider haben nicht alle Jugendlichen die Chance aus einer «gesunden» Familie und einem gesunden Umfeld zu kommen. Zerrüttete Familienverhältnisse, Drogenprobleme, Gewalt sind nur ein paar Gründe, die zu einem tiefen Selbstwertgefühl und einer schwierigen Eingliederung in die Berufswelt führen.
Hier setzen die Projekte aus der Sammlung «Jeder Rappen zählt für Jugendliche in Not», der gemeinsamen Aktion der Glückskette und SRF (Schweizer Radio und Fernsehen) an. Jugendliche, die es nicht aus eigenem Antrieb schaffen, in der Berufswelt Fuss zu fassen, erhalten spezifische Unterstützung und Begleitung. Somit kann ein Leben in Abhängigkeit vermieden werden und die Gesellschaft profitiert von starken, integrierten Jugendlichen.
Im Ausland unterstützt das Programm Jugendliche, die in einem von Naturkatastrophen, bewaffneten Konflikten oder verbreiteter Gewalt gezeichneten Umfeld leben. Sie erhalten Zugang zu Schul- und Berufsbildung, medizinische Unterstützung oder Schutzmassnahmen, um sie vor Ausbeutung zu bewahren und ihnen ein Leben in Würde und Sicherheit zu ermöglichen.
MR: Welche Aspekte umfasst die Not dieser Jugendlichen Ihrer Erfahrung nach und wie wichtig ist es, das Problem nicht auf das Wirtschaftliche zu reduzieren?
DT: Die schwierige berufliche Integration dieser Jugendlichen ist nur die Konsequenz ihrer Probleme und Not. Oft führt die Akkumulierung verschiedener Probleme wie Gewalt im Elternhaus, daraus resultierende schlechte Schulnoten oder Mobbing durch Kollegen dazu, dass das Selbstwertgefühl dieser Jugendlichen so stark sinkt, dass sie durch eigenen Antrieb den Anschluss nicht schaffen. Auch jugendliche Flüchtlinge haben Mühe, sich in unserem schulischen und beruflichen System zurechtzufinden und brauchen dabei viel Unterstützung.
In einem ersten Schritt geht es bei diesen Projekten deshalb immer darum, durch spezifische Massnahmen das Selbstwertgefühl der Jugendlichen soweit wieder instand zu stellen, dass sie aktiv an der Integration mitwirken können. Die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt über Praktika oder Berufslehren ist dann der logische nächste Schritt.
MR: Welche sind die Hauptprobleme von jugendlichen Flüchtlingen?
DT: Jugendliche Flüchtlinge sehen sich mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Die Flucht an sich ist meist ein traumatisches Erlebnis, was das psychische und physische Wohlbefinden stark beeinträchtigt. Dann spielen die kulturellen Unterschiede eine grosse Rolle und natürlich auch die unterschiedlichen Bildungssysteme. In Projekten für jugendliche Flüchtlinge gibt es einerseits Jugendliche, die kaum über Schulbildung verfügen und wieder andere, die ein extrem hohes Bildungsniveau haben.
Deshalb müssen diese Jugendlichen individuell gefördert und unterstützt werden, eine Pauschallösung gibt es nicht. Die meisten sind aber hochmotiviert und stecken sich selbst oft sehr hohe Ziele.
MR: Welches Potential haben die Jugendlichen aus aller Welt und was können wir von Ihnen lernen?
DT: Diese Jugendlichen haben in ihrem kurzen Leben schon sehr viel erlebt und leider nicht nur schöne Sachen. Sie mussten lernen mit extremen Situationen umzugehen und sich schnell auf neue Situationen einzustellen. Der Wunsch nach einem Leben in Sicherheit und Frieden überwiegt jedoch bei allen. Die meisten jugendlichen Flüchtlinge, die es zu uns geschafft haben, haben grosse Träume und sind sehr motiviert und ambitioniert. Davon könnten sich «unsere» Jugendlichen oft eine Scheibe voll abschneiden.
MR: Jugendliche sind weltoffen und aufnahmefähig. Daher sehe ich die Migration von Jugendlichen als Chance für die Gastgesellschaft. Wie ist das Ihrer Meinung nach in der Schweiz?
DT: Junge Menschen aus Krisengebieten haben oftmals keine andere Wahl, als sich fern ihrer Heimat eine bessere Zukunft aufzubauen. In der Schweiz gibt es viele kleine Initiativen, welche jugendlichen Flüchtlinge bei ihrer Integration und beruflichen Weiterentwicklung unterstützen. Die Schulen, Sportvereine und kulturelle Anlässe spielen bei der Einbindung in die Zivilgesellschaft eine sehr wichtige Rolle. Und in diesem Bereich gibt es in der Schweiz eine Menge sehr bewundernswerte Initiativen, mit dem Grundgedanken, dass alle Seiten von einem solchen Austausch profitieren.
MR: Wie wichtig ist es, die Jugendlichen zu integrieren, ohne sie zu assimilieren? Wie wichtig ist der Erhalt der eigenen Kultur und Religion für einen jugendlichen Flüchtling?
DT: Die Teenager-Jahre sind für jeden Jugendlichen an sich schon eine grosse Herausforderung. Zusätzlich noch flüchten zu müssen und sich ein Leben in einer völlig fremden Kultur aufzubauen, ist eine enorme Herausforderung. Die eigenen Wurzeln kultivieren zu dürfen, sich selbst zu bleiben ist dabei ein Luxus, den viele in ihren Ursprungsländern nicht leben durften.
Damit die Integration erfolgreich und nachhaltig verläuft, ist es wichtig, dass die Jugendlichen ihre eigene Kultur und Religion pflegen dürfen und können und gleichzeitig lernen, sich auf das Neue einzulassen. Wichtige hiesige gesellschaftliche Verhaltensregeln und Normen müssen sie auf alle Fälle lernen, das heisst aber nicht, dass sie sich selbst verleugnen sollen. Dies umzusetzen bedarf von den betreuenden Personen sehr viel Sensibilität, Verständnis und Feingefühl.
MR: Was hat das Projekt schon erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
DT: Das bisher erreichte lässt sich am besten anhand von zwei Jugendlichen zeigen, die von den Projekten profitiert haben.
Der 16-jährige Abdulahi liess in Somalia seine ganze Familie zurück, als er alleine vor den Milizen flüchten musste. Der junge Mann hat trotz vieler Hürden und dank seiner grossen Beharrlichkeit mit Hilfe der Organisation Lernwerk eine Lehrstelle als Schreiner gefunden. Die Leiterin des Lehrbetriebsverbunds, Marianne Maurer, ist überzeugt, dass er mit seiner ausgeprägten Willensstärke und Motivation seinen grössten Wunsch, Informatik zu studieren, auch noch umsetzen wird. Dank den Spendengeldern der Glückskette will sich die Organisation Lernwerk in einem neuen Programm spezifisch für die berufliche Grundausbildung von Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Jugendlichen engagieren, um ihnen damit die Chance auf eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
«Ich liebe Kinder über alles und will mich bis zur Jugendpsychologin weiterbilden», erzählt die 19-jährige Cristina aus Kolumbien und bringt darüber hinaus ihre Willensstärke zum Ausdruck. Sie ist zusammen mit ihrer Familie eine Vertriebene im eigenen Land. Ohne Unterstützung durch Organisationen wie Vivamos Mejor – unterstützt durch die Glückskette – hätte sie keine Zukunftsperspektiven. Jugendliche in Not wie Cristina werden in Kolumbien, El Salvador, Palästina und weiteren Ländern unterstützt.
Wir wünschen uns, dass das Thema die Menschen weiterhin berührt und wir weiterhin genügend Geld sammeln können, um diese so wichtigen Projekte auch in Zukunft finanziell unterstützen zu können.