Mohammed Naved Johari ist Frankfurter Amerikaner mit deutschen & indischen Wurzeln und ist als freischaffender Referent für Religiöses & Soziales, Übersetzer (Deutsch/Englisch/Arabisch) sowie Freitagsredner im Rahmen des Islamischen Informations- und Serviceleistungen e.V. (www.iisev.de) tätig.
Auf seiner Homepage monajo.de veröffentlichte er über 110 Artikel.
Seine akademische Laufbahn beinhaltet ein Diplom in Sozialpädagogik und ein Master in Management von Gesundheits- & Sozialeinrichtungen; innerhalb dieser Studien hat er die Masterarbeit über „Leitbilderstellungsgrundsätze für Moscheegemeinden mit Fallbeispiel und unter Einbeziehung einer Begründung von Moscheegemeinden als Sozialeinrichtungen” verfasst.
Aktuell schließt er zwei weitere theologische Masterstudiengänge ab und bereitet seine Promotion zum Themenkomplex „Islam & Soziale Arbeit” vor.
Seit 1997 ist er in der islamischen Arbeit aktiv. Er ist er zurzeit für den Bereich Soziales und Öffentlichkeitsarbeit des IIS e.V. zuständig.
Darüber hinaus ist Mohammed Johari Autor des Hörbuchs „Eine Hör-Reise zum Qur’an” und Übersetzer des demnächst erscheinenden Werks „Die Sunna und ihre Rolle in der islamischen Rechtsprechung” von Sheikh Mustafa Al-Sibai.
Was für ProMosaik vor allem von Bedeutung ist, ist der Islam als soziale Kraft der positiven Veränderung in den Bereichen Dialog, Antirassismus, Antidiskriminierung und Egalitarismus. Der Islam ist eine soziale und sozial-orientierte Religion, die die gerechte Verteilung von Reichtum und eine solidarische Gesellschaft auf allen Ebenen verkündet. Es ist nun die Aufgabe der Musliminnen und Muslime diese Gesellschaft muslimisch zu gestalten. Als Feministin bin ich natürlich der Überzeugung, dass das soziale Engagement und der Feminismus auch vieles gemeinsam haben.
بســم الله الرحمن الرحيـم
Milena Rampoldi: Sie betonen in Ihrer Arbeit das soziale Engagement als Komponente des Islam als Religion. Können Sie uns kurz erklären, warum Islam und soziales Engagement so stark miteinander verbunden sind?
Mohammed Naved Johari: Der Islam versteht soziales Engagement als integrativen Bestandteil seines Gesellschaftsmodells, das alle Menschen in einem Füreinander zusammenschließt, dazu heißt es im Quran:
„Und dient Allah und stellt Ihm nichts zur Seite, und erweist den Eltern Wohltaten und ebenso den Verwandten, den Waisen und Armen, den nahestehenden Nachbarn und den fernen Nachbarn, und dem Gefährten an eurer Seite und dem Reisenden und den Unfreien. Wahrlich, Allah liebt nicht die, die überheblich und stolz sind”.“ (4:36)
In diesem Vers werden der Eingottglauben und der Gottesdienst frei von jeglicher Beigesellung mit der Nachbarschaftspflege verknüpft. Dies ist eines von vielen Beispielen, in denen die Verbindung der Glaubensüberzeugung mit Wohltatenerweisung gegenüber der Nachbarschaft deutlich wird.
Ohne Widerspruch zu erfahren haben klassische Quran- Kommentatoren festgehalten, dass mit den fernen Nachbarn unter anderen gültigen Bedeutungen auch nichtmuslimische Nachbarn gemeint sind. Ebenso wird durch den Quran das Verständnis des Begriffs des Nachbarn in dem Sinne erweitert, dass man darunter mehr Mitmensch verstehen sollte, da der Quran stellenweise alle Einwohner der Kleinstadt Medinas als Nachbarn bezeichnete (33:60) – und Medina war damals eine Stadt von mindestens 10.000 Einwohnern.
1
Auch ist die 3. Säule des Islam, die Zakah, ist Ausdruck der Inklusivität zwischen gelebter Religion und sozialem Engagement.
Der Koran fordert in zahlreichen Passagen dazu auf, sich um das Wohlergehen von sozial und wirtschaftlich Schwachen und Bedürftigen zu kümmern und verbindet dies mit Gottesliebe und Güte, die über den rituellen Angelegenheiten stehen:
„…und sie geben – obwohl man sie liebt (auch: Aus Liebe zu Ihm) -Speise zu essen einem Armen, einer Waisen und einem Gefangenen: „Wir speisen euch nur um Allahs Angesicht willen. Wir wollen von euch weder Belohnung noch Dank.“ (76:8-9)
„Nicht darin besteht die Güte, dass ihr eure Gesichter gegen Osten oder Westen wendet. Güte ist vielmehr, dass man an Allah, den Jüngsten Tag, die Engel, die Bücher und die Propheten glaubt und vom Besitz – obwohl man ihn liebt – der Verwandtschaft, den Waisen, den Armen, dem Sohn des Weges, den Bettlern und für (den Loskauf von) Unfreien hergibt, das Gebet verrichtet und die Abgabe.“ (2:177)
MR: Wie wichtig ist die interkulturelle Komponente innerhalb der Ummah. Wie sehen Sie das auch aufgrund Ihrer Biographie und Lebenserfahrung?
MNJ: Die interkulturelle Komponente innerhalb der muslimischen Gemeinde ist zum einen Ausdruck dafür, dass der Islam nur wenige, aber wichtige Angelegenheiten fest und unumstößlich definiert, wie beispielsweise den Monotheismus, die gottesdienstlichen Handlungen, die 10 Gebote – ja, die kommen gleich zweimal im Quran vor – hingegen in punkto Sprachen, Kulturen, (Haut-)Farben die Vielfalt schätzt. Die Liebe Allahs Seiner vielfältigen Schöpfung gegenüber wird unter anderem in den folgenden Versen deutlich:
„Und zu Seinen Zeichen gehört die Erschaffung der Himmel und der Erde und auch die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben. Darin sind wahrlich Zeichen für die Wissenden.“ (30:22)
„O ihr Menschen, wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennenlernen mögt. Wahrlich, vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste ist.“ (49:13)
Weiterhin haben Muslime in der Diaspora eine Möglichkeit, die so in ihren Heimatländern nicht besteht, nämlich die, außerhalb eines gewohnten kulturellen Rahmens ihre Religion kennenzulernen und auszuleben, in Auseinandersetzung mit einer erst mal als nichtmuslimischen wahrgenommenen Kultur das Islamische darin zu entdecken und mit anderen aus muslimischen Ländern importierten Kulturen gemeinsam das wirklich Religiöse und damit Beständige vom kulturellen und damit Relativen herauszufiltern.
Dadurch, dass ich bereits vor meiner Konvertierung zum Islam multikulturell aufgewachsen bin und auch die unromantischen Seiten der arabischen Welt kennengelernt habe – die mich wiederum anderes am „Deutschen“ so schätzen hat lassen, konnte ich früh eine Bereicherung in der multikulturellen und gleichzeitig deutschsprachigen islamischen Gemeindearbeit erkennen.
MR: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Portal Monajo?
monajo.de bedeutet mir sehr viel! Mit diesen meinen Veröffentlichungen möchte ich einen bescheidenen Beitrag für ein besseres Miteinander – sowohl im Zusammenleben als auch im Diskurs untereinander – und damit für eine bessere Welt leisten.
Die Hauptrubrik der Homepage „Soziale Arbeit“ möchte vor allem wissenschaftliche Beiträge rund um den Themenkomplex Islam, Muslime und Soziale Arbeit bereitstellen, aber auch „Motivationstexte“ anbieten. Weiterhin möchte monajo.de einerseits das Verständnis für die Grundlagen des Islam vertiefen und andererseits Meinungsverschiedenheiten in ihrer Entstehung erklären – um Sektiererei und Kleinkariertheit vorzubeugen. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang vor allem der Engstirnigkeit entgegenzutreten, gerade wenn begründete Meinungen verschwiegen oder abgewertet werden, die reale und schwerwiegende Probleme lösen – bloß weil die Meinungen nicht von der Mehrheit der Gelehrten geteilt oder der These einiger Schulen widersprechen. Beispielsweise habe ich in sechs Fragen des Scheidungsrechts jeweils die eheerhaltende Position mit Argumenten und Befürwortern unter den Gelehrten dargestellt.
Mir ist es von enormer Bedeutung, dass alle Bücher und Artikel – mittlerweile über 110 Abhandlungen – kostenlos zur Verfügung stehen direkt herauskopiert werden können. Wissen sollte wie Luft und Wasser frei zugänglich und übertragbar sein. Um die Texte auch bessser zu verbreiten, habe ich mich auch mit der Welt von Facebook angefreundet.
MR: Welche Tabuthemen müssen in den islamischen Gemeinden dringend aufgegriffen werden und warum?
MNJ: Ich würde sagen, im Besonderen im Bereich Sexualität und Aufklärung müssen noch viele Tabus gebrochen werden. Denn einerseits vermitteln aus den Herkunftsländern importierte Traditionen falsche Ideen und andererseits (ver)führt die Unwissenheit vor allem Kinder und Jugendliche dazu, unmoralische Quellen aufzusuchen, um ihre Neugier zu stillen. Auch im Bereich des Umgangs mit Muslimen, die offenkundige Schwächen haben, müssen wir in unseren Gemeinden den Umgang dringend verbessern. Denn teilweise haben wir keine Willkommens-, sondern eher eine Abweisungskultur gegenüber solchen Muslimen entwickelt und schrecken diese so sehr von unseren Gemeinden ab. In diesem Zusammenhang waren mir meine Texte über homosexuelle Muslime wichtig.
Auch in Sachen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, worüber wir uns zu Recht beschweren, müssen wir uns verbessern. Denn auch der Rassismus und die Xenophobie sind unter uns Muslimen teilweise stark verankert, wie ich dies am Beispiel von Shaikh Adel Kalbani thematisierte.
MR: Für mich persönlich ist der Islam ein sozio-politisches Engagement für die Gerechtigkeit und den Frieden und ein Kampf für die Menschenrechte. Wie sehen Sie das?
MNJ: Als Muslim und Sozialpädagoge teile ich dieses Verständnis voll! In diesem Zusammenhang veröffentliche ich auch zu gesellschaftspolitischen Themen wie beispielsweise Guantanamo, Islamfeindlichkeit, Amtsmissbrauch des Verfassungsschutzes, den Militärputsch in Ägypten und Ungerechtigkeiten in Palästina längere Artikel bzw. universitäre Hausarbeiten.
Was die „Menschenrechte“ angeht, verstehe ich diese in einem umfassenderen Sinne als es die UDHR wiederzugeben vermag. Es gibt sicherlich einen gemeinsamen Kern zwischen dieser Erklärung und den islamischen Inhalten, aber der Islam hat auch eigene Konzepte, die nicht in Vergessenheit geraten sollten und im Menschenrechtskonzept nicht abgedeckt sind. Eine zinsfreie Wirtschaft und finanzielle Verpflichtungen für Reiche zählen beispielsweise zu diesen Aspekten.
MR: Wie können sich Muslime jetzt in Deutschland gegen Islamfeindlichkeit und für die Aufnahme von Flüchtlingen engagieren?
MNJ: Muslime in Deutschland müssen auf allen Ebenen für mehr Begegnung sorgen: Im privaten Rahmen – in der Nachbarschaft beispielsweise, aber auch im Engagement im Bereich Erziehung und Bildung ihrer Kinder innerhalb der Kindergärten, Schulen und anderer einschlägiger Institutionen.
Auf gesellschaftlicher Ebene ist es wichtig, dass Muslime als Einzelpersonen allgemein in Vereinen und Organisationen aktiv werden, die nicht nur mit Antidiskriminierungsarbeit etc. zu tun haben. Wichtig ist jedoch auch, dass muslimische Vereine, zu denen ja auch Moscheegemeinden zählen, ihre Arbeit mehr und mehr professionalisieren. Es soll nicht nur solidarisch gehandelt, sondern auch öffentlichkeitswirksam darüber gesprochen werden. Ansonsten gibt man nur Rassisten und Islamfeinden die Angriffsfläche, wahrheitswidrig behaupten zu können, Muslime würden sich nicht genug für die Gesellschaft engagieren.
In Sachen Flüchtlingsarbeit sehe ich die Muslime in allen ehrenamtlichen Bereichen stark vertreten, ohne damit das wirklich hohe Engagement unter Nichtmuslimen verkennen zu wollen.
Was jedoch die professionelle Arbeit anbelangt, haben wir Muslime zwar im humanitären Bereich mit Muslime Helfen e.V. und Islamic Relief e.V. hochprofessionalisierte und erfolgreiche Organisationen. Im Bereich der Sozialarbeit brauchen wir aber immer noch die erforderliche politische Starthilfe.
MR: Wie wichtig sind Frauen für das soziale Engagement in der Ummah und warum?
MNJ: Wenn wir einen Blick auf unser Gemeindeleben werfen, so sehen wir, wie Frauen die Säulen unseres Gemeindelebens sind. Ob man dies nun biologisch oder soziologisch erklärt oder beide Ansätze miteinander verbindet: Frauen haben einfach das „gewisse soziale Etwas“.
Hinsichtlich der akademischen, bzw. beruflichen Qualifikationen sind es eben auch öfters Frauen, die sich für einen „sozialen“ Beruf entscheiden, der für sie meist mehr eine Berufung als eine Erwerbstätigkeit bedeutet. Dass auf der anderen Seite dann ein Männermangel besteht, ist nicht nur ein Phänomen unter Muslimen in Deutschland, sondern wird gesamtgesellschaftlich beklagt. Aufgrund dieses Mangels erlernen auch vermehrt muslimische junge Männer soziale Berufe, um dort ihre Erfüllung zu finden.
http://promosaik.blogspot.it/2016/06/islam-und-soziales-promosaik-im.html