Ein Interview mit Idas Mutter über Autismus
Liebe Leserinnen und Leser,
Sie erinnern sich wahrscheinlich an die Buchrezension über das Mädchen ida, das unter Autismus leidet.
Hier finden Sie den Link dazu:
Über die Autorin, Frau Dorina Lutz, habe ich die wundervolle Chance bekommen, meine Frage über den Autismus der Mutter von Ida zu stellen, die unter Autismus leidet.
Wie Sie wissen, geht es uns von ProMosaik e.V. darum, Informationen über den Autismus zu verbreiten, um die Menschen zu sensibilisieren und zu vermeiden, dass Kinder mit Autismus in unserer Gesellschaft diskriminiert werden.
Ich möchte Idas Mutter herzlichen Dank von unserer Redaktion aussprechen. Was Sie für unsere Leserinnen und Leser geschrieben hat, ist von unermesslichem Wert.
danke!!
Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Ihr Kind leidet unter Autismus. Wir würden Sie unseren Leserinnen und Lesern erklären, wie sich Autismus äußert?
Mutter von Ida: Lang oder Kurz 😉 Ich habe mal einen Vortrag für den Kindergarten geschrieben. Dieser umfasst allerdings mehrere Seiten. Wenn Sie daran Interesse haben kann ich Ihnen den Vortrag aber sehr gerne senden. Vorerst versuche ich es in kurz:
Es ist schwierig allgemein zu erklären wie sich Autismus äußert, da die Bandbreite sehr groß ist. Von geistiger Behinderung und absoluter Non-Verbalität bis hin zu Hochbegabung und “blumiger” Sprache ist alles dabei. Allen Autismusformen gemein ist aber der fehlende Reizfilter, das “erschlagen werden” von den vielen Eindrücken unserer Welt und die andere Reizverarbeitung und Kontaktaufnahme. Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Tiefgreifend bedeutet, dass es die gesamte Persönlichkeit betrifft und nicht aufgeholt wird oder sich verwächst. Beziehungen zu Nicht-autistischen Mitmenschen gestalten sich aufgrund der anderen Wahrnehmung und der Eigenheiten oft als sehr schwierig. Die Eigenheiten kommen daher, dass Autisten Informationen aus ihrer Umwelt auf eine andere Art und Weise verarbeiten als andere Menschen. Viele Autisten haben große Schwierigkeiten Gesichter zu erkennen, sich in andere hineinzuversetzten oder deren Gefühle zu deuten. Auch Körperkontakt und Blickkontakt sind schwerig und meistens werden Meinungen und Gedanken ungeschönt ausgesprochen- was dazu führt, dass viele Autisten für unhöflich oder gefühllos beschrieben werden- was Sie aber keinesfalls sind. Die meisten Autisten sind sehr stark auf bestimmte Rituale, Gewohnheiten und Abläufe festgelegt. Sprichwörter oder Redewendungen werden meist wörtlich genommen. “Durch computertomografische Aufnahmen von Autisten weiß man, dass in ihren Gehirnen Verbindungen verschiedener Regionen fehlen, besonders das Gefühlszentrum im Hirn ist schlecht verdrahtet. Dafür wächst das Gehirn eines Autisten rascher als das anderer Menschen offenbar unterscheidet es nicht zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen, alle werden gespeichert. Dass es bei dieser Menge an Daten im Kopf zu einer Reizüberflutung kommen kann, verwundert nicht. Und tatsächlich sind viele Autisten sehr empfindlich, können z. B. laute Geräusche oder starke Gerüche kaum ertragen und fühlen sich in einer reizarmen Umgebung wesentlich wohler. Nicht-Autisten besitzen eine eigene Gehirnregion, die nur für das Erkennen von Gesichtern zuständig ist. Bei Autisten scheint diese Region nicht aktiv zu sein, daher können sie Gesichtsausdrücke viel schlechter wahrnehmen. Auch bestimmte Verbindungen im Gehirn, die für das Nachahmen zuständig sind, funktionieren nicht so gut und tatsächlich: autistische Kinder imitieren beim Spielen ihre Bezugspersonen nicht.” (Quelle: Was ist was) Vielleicht lässt sich der gemeinsame Nenner am besten über die Diagnosekriterien beschreiben:
Gebiet 1: soziale Kommunikation (aus jedem Bereich mindestens eines)
1A: merkwürdige Kontaktaufnahme ODER Unfähigkeit, Gespräche aufrecht zu erhalten ODER keine Gespräche starten
1B: kaum Verwendung von Mimik/Gestik ODER Auffälligkeiten bei Blickkontakt ODER Defiziten beim Verständnis nonverbaler Kommunikation
1C: Defizite bei der Aufnahme und Aufrechterhaltung von Beziehungen
Gebiet 2: Stereotypien/Rituale (mindestens zwei Kriterien)
2A: Stereotypien ODER repetitive Bewegungen ODER Echolalie
2B: Routinen
2C: Spezialinteresse
2D: Hyper- bze. Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder andere Reize
Für mich persönlich steht die andere Wahrnehmung und der fehlende Reizfilter ganz klar im Vordergrund und bedingt alles andere (Stereotypien und Stimmings um sich besser zu spüren und zu erden, Aggressionen und Panik weil man reizüberflutet ist…). Und ich möchte noch anmerken, dass viele Autisten nicht sagen würden, dass Sie „unter Autismus leiden“, sondern, dass Sie Autist sind- es gehört zu Ihnen und ist Ihre Wesensart- Gelitten wird meist unter den Begleitumständen.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie und warum wird Ihr Kind diskriminiert?
Mutter von Ida: Es gibt vieles was unsere Tochter einfach nicht erträgt, nicht ertragen kann- sei es helles Licht, viele Geräusche auf einmal, Menschenmengen, gewisse Berührungen, für Sie unlogische oder sich widersprechende Aussagen, das durcheinanderbringen Ihrer Routinen und Ordnung… und ich finde es demütigend und diskriminierend, dass es immer wieder Menschen gibt, die der Meinung sind, dass Sie sich nur anstrengen muss, richtig erzogen werden muss, dass Sie sich einfach keine Mühe gibt und sich schlecht benimmt. Wenn Ida alles zuviel wird, dann kann Sie nicht mehr sprechen oder gesellschaftlich adäquat reagieren. Ihr Betriebssystem bricht zusammen- Sie weint, schreit, wird panisch, fremd- und autoaggressiv. Die meisten Leute vermitteln einem, dass Sie einfach lernen muss sich zu beherrschen, dass wir als Eltern versagt haben und Sie ein ungezogenes Kind ist.
Ebenso ist Ida stark entwicklungsverzögert, trägt mit 5,5 Jahren noch Windeln, ist sehr unselbständig und braucht bei allen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe und kann bei vielem nicht mithalten was Gleichaltrige Kinder längst schon können (auf dem Spielplatz klettern…) – Doch sieht man Ihr Ihre Behinderung nicht an- und so ernten Sie und Wir regelmäßig Kommentare, “warum so ein großes Kind denn noch…”. Wenn ich dann entgegne, dass Sie eine Behinderung hat, kommt nicht selten: “Aber man sieht ja gar nichts”.
Ich empfinde es oft als sehr schwer, dass Autismus als unsichtbare Behinderung ständig bewiesen und gerechtfertigt werden muss. Und das ja leider nicht nur im privaten Bereich, sondern auch bei Ämtern, Fachleuten – ja selbst im Krankenhaus. In vielen Köpfen herrscht das Bild, dass Autisten nur schweigend und schaukelnd in der Ecke sitzen und sobald jemand mehr kann, kann es so schlimm ja nicht sein und er muss sich nur beherrschen…
Desweiteren finde ich es extrem diskriminierend wie in unserer Gesellschaft die Worte “Autismus” und “Behinderung” benutzt werden. Es ärgert mich sehr, wenn Presse und Fernsehen „Autist“ zu einer Art Modewort machen und z.B. bei Handybenutzern von „sozialem Autismus“ sprechen oder jegliche Dummheiten und Gewaltverbrechen (Tebartz van Elst, diverse Amokläufe..) damit in Verbindung gebracht werden ohne jede Diagnose.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie kann man dazu beitragen, damit die Gesellschaft anfängt umzudenken und Kinder mit Autismus aufnimmt und akzeptiert?
Mutter von Ida: Durch Aufklärung- sei es in Gesprächen, in Zeitungen, in Filmen – und natürlich auch in (Kinder)Büchern. Das Bild von Autismus in der Gesellschaft ist noch immer sehr einseitig- für die meisten ist ein Autist entweder ein verqueres Genie oder ein sprachloser Mensch in einer Art Glaskugel.
Leider ist die Gesellschaft heute sehr genormt und es scheint das non-plus-ultra zu sein gut angepasst zu sein. Wir sollten allgemein den Druck ein wenig herausnehmen und Individualität wieder mehr zulassen, -nicht nur bei autistischen Kindern- und die Sichtweisen schätzen lernen die eine andere Art zu denken uns geben kann. Wenn es immer nur darum geht möglichst schnell, möglichst konform möglichst viel zu erreichen, dann haben Autisten in der Regelschule kaum eine Chance, da Sie von den Eltern anderer Kinder nur als störend und als Bremse empfunden werden.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig sind Kinderbücher über den Autismus und warum?
Mutter von Ida: Sehr wichtig. Zum einen für das autistische Kind selber, da es anders ist als die Kinder in den meisten Büchern und sich und seine Gefühle sicher auch einmal wiedererkennen möchte.
Zum anderen für die andern Kinder, da Sie sicher bemerken, dass mit diesem Kind irgendetwas anders ist, aber es nicht greifbar für Sie ist und sehr schwer zu verstehen, warum es zum Beispiel negativ auf gut gemeintes (Berührungen) reagiert. Und natürlich ist es wichtig für Eltern und Pädagogen, da Sie es sind, die es Ihren Kindern erklären müssen und während es zu jeder Thematik (Schnuller, Schlafen, Wut… ) zahlreiche Kinderbücher gibt ist es schwierig etwas passendes über Autismus zu finden.
Zum anderen für die andern Kinder, da Sie sicher bemerken, dass mit diesem Kind irgendetwas anders ist, aber es nicht greifbar für Sie ist und sehr schwer zu verstehen, warum es zum Beispiel negativ auf gut gemeintes (Berührungen) reagiert. Und natürlich ist es wichtig für Eltern und Pädagogen, da Sie es sind, die es Ihren Kindern erklären müssen und während es zu jeder Thematik (Schnuller, Schlafen, Wut… ) zahlreiche Kinderbücher gibt ist es schwierig etwas passendes über Autismus zu finden.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Wie wichtig ist der Austausch mit anderen Eltern, um über Autismus zu sprechen?
Mutter von Ida: Mit anderen Eltern von Nicht-Autisten ist er sehr wichtig im Sinne der Aufklärung, des Verständnisses und des gegenseitigen erweitern des Blickwinkels.
Mit anderen Eltern von Autisten ist es einfach unglaublich gut einmal nichts erklären, nichts rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen. Man kann sich gegenseitig stützen und unterstützen (Schwerbehindertenausweis, Integrationshilfe, Pflegestufe) und man weiß einfach, dass das Gegenüber versteht was man meint. Es ist das eine gut über Autismus informiert zu sein, aber es ist nochmal etwas ganz anderes tagtäglich damit den Alltag zu meistern.
Dr. phil. Milena Rampoldi: Was können die anderen Kinder von den autistischen Kindern lernen?
Mutter von Ida: Ganz allgemein kann man immer voneinander lernen, gerade wenn man unterschiedlich ist und die Welt unterschiedlich wahrnimmt. Von Kindern mit Behinderung, egal ob Autismus oder andere Behinderungen, kann man lernen, dass es ok ist anders zu sein. Die Kinder können Toleranz lernen und Ihre Weltsicht erweitern, Sie können lernen anderen zu helfen und Sie zu unterstützen. Sie lernen, dass es nicht nur den einen Weg gibt. Von autistischen Kindern im speziellen, kann man lernen seine Wahrnehmung zu schärfen. Ganz anders auf Töne und Gerüche… zu achten. Die Welt „mit anderen Augen“ zu betrachten. Viele autistische Kinder haben einen faßzinierenden Blick fürs Detail. Ihnen fallen Dinge auf, die andere Kinder gar nicht bemerken und es ist zwar manchmal ein wenig zu direkt, aber ich persönlich finde es sehr wohltuend, dass autistische Kinder in der Regel keine Schauspieler sind. Was Sie sagen meinen Sie und auch wenn Sie Gefühle oft nicht so gut „lesen“ können haben Sie ein fazzinierende Innenleben.
Viele herzliche Grüße,
(die Mama von Ida)
http://promosaik.blogspot.com.tr/2015/04/ein-interview-mit-idas-mutter-uber.html