Ukraine-Krise: Plädoyer für Referendum
ProMosaik interviewt Herrn Ruffler des Bremer Friedensforums
Liebe Leserinnen und Leser,
wir hatten vor Monaten die Rede von Herrn Walter Ruffler des Bremer Friedensforums veröffentlicht und dann auch Herrn Lentz des Bremer Friedensforums interviewt. Da der Ukraine-Konflikt immer noch andauert, freuen wir uns sehr auf die konstruktiven und vor allem pazifistischen Vorschläge von Herr Ruffler.
ProMosaik e.V. sieht den Konflikt genauso wie Herr Ruffler ihn analysiert und möchte einfach alle bitten, sich die Idee des Referendums als Deus ex Machina zwecks Lösung dieses Bürgerkrieges, der am Ende auf die westlichen Versuche zurückzuführen ist, Einfluss auf ein Land zu nehmen, das direkt an Russland liegt, durch den Kopf gehen zu lassen.
Das Echo des Kalten Krieges… wir glauben ja. Neoimperialismus auf russischer und auch auf westlicher Seite… wir glauben ja.
Für die Menschen bedeutet dieser Krieg aber TOD, OBDACHLOSIGKEIT, ARMUT, ELEND, EINEN KALTEN WINTER, VERLORENE KINDHEIT, FLUCHT, WIRTSCHAFTLICHE
KATASTROFE, die mit der Schokolade des Präsidenten auch nicht süßer schmecken …
Nur weil sich Großmächte um Einflusszonen streiten und Waffenkonzerne schön ihre Waffen verkaufen möchten, sterben unschuldige Menschen. Ein Volk ist geteilt, und es kämpfen Bürger gegen Bürger.
Wir freuen uns auf Ihre Kommentare hierzu. Bitte teilen Sie dieses wichtige Interview im Namen des Friedens auch mit Ihren Freunden und Bekannten.
Dankend
Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.
ProMosaik e.V.: In Ihrer Rede anlässlich des Antikriegstages in Bremen am 01.09.2014 haben Sie ein Referendum zur Lösung des Ukrainekonflikts vorgeschlagen. Wie kann direkte Demokratie Kriege vermeiden?
Herr Ruffler: In der jüngeren Geschichte gab es immer wieder Versuche von Regionen, sich von einem bestehenden Staatsverband abzuspalten (Sezession), was häufig zu Bürgerkriegen mit hohen Verlusten an Leib und Leben und am Eigentum der Bevölkerung führte. Wenn dagegen die betroffene Bevölkerung das Recht hat, in einer Volksabstimmung (Referendum) über die staatliche Verfasstheit ihrer Region abzustimmen, könnten blutige Konflikte vermieden werden. Ein gutes positives Beispiel ist das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands am 18. September 2014. Zuvor hatten die britische Regierung in London und die schottische Regionalregierung in Edinburgh eine Regelung des Verfahrens vereinbart, und in einem vorgeschalteten Wahlkampf wurden die Vor- und Nachteile einer Abspaltung von England politisch diskutiert. Die Selbstständigkeit Schottlands wurde mit 55,3% der Stimmen gegen 44,7% bei einer Beteiligung von 84,59% abgelehnt. Man sieht daran, dass die rechtliche Möglichkeit der Abspaltung keineswegs automatisch zu einer Sezession führen muss – die Mehrheit entscheidet. Leider verweigert die spanische Regierung den Katalanen das Recht auf ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens. Was in Großbritannien möglich war, wird in Spanien verboten.
ProMosaik e.V.: Wie viele internationale Interessen und Waffenlobby stehen der friedlichen Lösung des Konfliktes im Wege?
Herr Ruffler: Der Ukraine-Konflikt hat eine geopolitische Dimension, die USA und die Russische Föderation streiten sich über ihre Einflusszonen. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras. Das Gras ist in diesem Fall die Ukraine. Russland betrachtet die Ukraine historisch als sein Einflussgebiet und sieht seine Sicherheitsinteressen gefährdet, nachdem in Kiew im Februar 2014 durch einen Putsch eine prowestliche Regierung installiert wurde. Die Abspaltung der Krim und ihr Anschluss an die Russische Föderation werden von den Regierungen der USA und der EU als Bruch des Völkerrechts betrachtet. Diese westlichen Regierungen stellen das Rechtsprinzip der territorialen Integrität über das Recht der Regionen zur Sezession und verweigern deshalb auch den Aufständischen in der Ostukraine das Recht auf ein international anerkanntes Referendum über die eigene staatliche Verfasstheit, beispielsweise Föderalismus oder Sezession. Die USA befürchten, dass bei einer legalen Abspaltung beispielsweise der Regionen Lugansk und Donezk ihr Einfluss in der Ukraine zugunsten Russlands geschwächt wird.
Am derzeitigen Bürgerkrieg, der durch die Angriffe der ukrainischen Armee auf die Aufständischen ausgelöst wurde, verdienen viele: internationale Rüstungskonzerne genauso wie ukrainische Oligarchen, Verwaltungsbeamte und Offiziere und Kommandeure. Die Korruption in der Ukraine ist sprichwörtlich und es dürften Unmengen an Schmiergeldern fließen.
Quelle: manuela-kaeding.de
ProMosaik e.V.: Fehlt es der Ukraine an einer wahren diskursiven Politik? Wenn ja, warum?
Herr Ruffler: Die Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine vom 21. Februar 2014 zwischen dem damaligen Präsidenten Janukowitsch und den Vertretern der drei Oppositionsparteien sah eine Regierung der nationalen Einheit unter Beteiligung aller Parteien sowie vorgezogene Präsidentschaftswahlen vor. Leider wurde diese Perspektive einer friedlichen demokratischen Konfliktlösung durch den Putsch vom 21./22. Februar zerstört. Präsident Janukowitsch wurde vertrieben und eine neue Regierung wurde gebildet unter Ausschluss von Janukowitschs Partei der Regionen, die insbesondere im Osten der Ukraine stark verankert war. Dieser Putsch erfolgte vermutlich in Absprache mit der US-Regierung. Als dann im Osten öffentliche Gebäude besetzt wurden und der Ruf nach einem föderalen System und mehr regionaler Autonomie laut wurde, setzte die Kiewer Regierung Truppen ein, um die Rebellion niederzuschlagen. In der politischen Beurteilung durch westliche Medien und Politiker wurden doppelte Standards deutlich: Auch von den Protestierenden des Maidan waren öffentliche Gebäude besetzt worden, doch während diese Besetzungen vom Westen als Ausdruck des demokratischen Volkswillens bewertet wurden, sah man in den Aktionen in der Ostukraine lediglich eine russische Subversion. Offensichtlich ist die „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Armee und der privat finanzierten Freiwilligenbataillone mit der US-Regierung abgesprochen und wird von amerikanischen Beratern und mit amerikanischem Equipment unterstützt. Der derzeitige Waffenstillstand dient offenbar der Umgruppierung der Kräfte auf ukrainischer Seite und der Aufrüstung der ukrainischen Armee mit neuer und moderner Kriegstechnik, nachdem die Armee bei der Gegenoffensive der Separatisten einen Großteil ihres Materials eingebüßt hatte.
Fazit: Solange Präsident Poroschenko für seine Militäraktionen die Rückendeckung der USA hat, wird er keine echte Dialogbereitschaft zeigen. Für ihn sind die Separatisten „Banditen und Terroristen“, die er vernichten will.
Quelle: koufogiogorgos.de
ProMosaik e.V.: Was würden Sie Bundeskanzlerin Merkel sagen?
Herr Ruffler: Ich würde Bundeskanzlerin Merkel raten, sich aus dem Schlepptau der Politik Obamas zu lösen und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu beenden. Sie sollte das Ziel aufgeben, die territoriale Integrität der Ukraine unter allen Umständen aufrechterhalten zu wollen. Stattdessen sollte sie Poroschenko drängen, den Krieg gegen das eigene Volk im Osten der Ukraine zu beenden und sich mit den Separatisten über eine von internationalen Beobachtern kontrollierte Volksabstimmung über die staatliche Zukunft der Ukraine zu verständigen. Die Aussichten Merkels, Gehör bei Poroschenko zu finden, sind sehr groß, da die Ukraine aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage völlig von finanzieller Unterstützung durch den Internationalen Währungsfond, die USA und die EU abhängig ist.
ProMosaik e.V.: Was würden Sie US-Präsidenten Obama sagen?
Herr Ruffler: Die amerikanische Regierung sollte ihre Sanktionen und ihre Politik der politischen Ausgrenzung gegen Russland beenden und Putin als Gesprächs- und Verhandlungspartner auf Augenhöhe respektieren. Obama sollte Poroschenko drängen, sich mit den Separatisten über eine von internationalen Beobachtern kontrollierte Volksabstimmung über die staatliche Zukunft der Ukraine zu verständigen.
Quelle: dw.de
ProMosaik e.V.: Warum sehen Sie Putins Vorschlag als eine Möglichkeit, aus der Sackgasse der westlichen Politik zu kommen?
Herr Ruffler: In einem Interview im Ersten Kanal des russischen Fernsehens Ende August schlug Putin „inhaltsreiche Verhandlungen“ vor „zu den Fragen der politischen Organisation der Gesellschaft und der Staatlichkeit im Südosten der Ukraine zur bedingungslosen Sicherung der legitimen Interessen der Menschen, die dort leben.“ Ich verstehe das so, dass Putin das Schicksal der umstrittenen Gebiete in der Ukraine in die Hände der dort lebenden Menschen legen will, das könnte eine Volksabstimmung (Referendum) über verschiedene politische Alternativen sein. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die beteiligten Kontrahenten – Regierung in Kiew, Separatisten, sowie die Regierungen von Russland, den USA und der EU – über das Verfahren einig werden.
ProMosaik e.V.: Warum vergleichen Sie die Ukraine mit Südtirol. Wie denken Sie kann Autonomie im Allgemeinen Kriege überwinden?
Herr Ruffler: Südtirol wurde im Zuge des Ersten Weltkrieges von Italien annektiert und einer versuchten Italienisierung unterzogen. Mitte der 1950er Jahre gründete sich der Befreiungsausschuss Südtirol (BAS), eine separatistische Untergrundorganisation, die durch Flugblätter und Anschläge auf staatliche Symbole die Sezession Südtirols von Italien und die Wiedervereinigung mit dem österreichischen Ost- und Nordtirol erkämpfen wollte. Während zunächst Menschenleben um jeden Preis geschont werden sollten, fand später eine Radikalisierung statt, zu der ab 1961 auch italienische Behörden beitrugen, schwere Folterungen von inhaftierten BAS-Aktivisten durch Carabinieri wurden von italienischen Gerichten großenteils nicht geahndet. Die Aktivitäten der BAS endeten 1969, denn zum einen wurde zwischen Österreich und Italien ein Autonomie-Statut für Südtirol ausgehandelt, zum anderen wurde der politische Druck von österreichischer Seite auf die Separatisten immer größer. Die weitgehende Selbstverwaltung der deutschen und ladinischen Minderheit hat wesentlich zu der Befriedung der Situation beigetragen. Vielleicht wäre das auch ein Modell für die Ostukraine.
http://promosaik.blogspot.com.tr/2014/12/promosaik-interviewt-herrn-ruffler-des.html