Nicole Kumfert über Kobane: Menschenrechte werden verletzt
Kobane – Eine Frage der (Menschen-)Würde
Als ich vor einigen Wochen von ProMosaik gefragt wurde, ob ich einen Artikel zum Thema Kobane schreiben könnte, habe ich sofort und spontan “JA” gesagt.
Es ist doch eindeutig, was wir machen müssen, um den Menschen in Kobane zu helfen.
Hatte ich zumindest gedacht.
Aber was genau ist eindeutig?
Fakt ist: Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates verstoßen gegen Menschenrechte und allem voran gegen die Würde der Menschen.
Damit meine ich nicht ausschließlich jene Opfer, die der IS bislang gefordert, indem er sie regelrecht abgeschlachtet hat – anders kann ich unter anderem auch die Enthauptungen der westlichen Journalisten nicht bezeichnen.
Eine davon habe ich leider im Internet gesehen, bevor die Seite und somit auch das Video gesperrt war – es ist unvorstellbar, auf welch unglaublich menschenverachtende Art und Weise ein Mensch, der seinem Beruf nachgehen wollte, als Druckmittel gegen die westliche Welt und deren Ideologie hingerichtet wurde.
Allem Anschein nach von einem Menschen, der Großbritannien gefrustet verlassen hat, um sich dem IS anzuschließen und dabei offensichtlich seine Erfüllung zu finden.
Schräg genug.
Nicht nur in der Grenzstadt Kobane, sondern auch im östlichen Syrien und in großen Teilen Nordwestiraks hat sich der IS barbarisch Territorium erkämpft und das Kalifat ausgerufen – einen eigenen Staat ohne jedwede völkerrechtliche Anerkennung auf Grundlage einer fragwürdigen Auslegung des Islams.
Ich sprach eben davon, dass nicht allein die Menschen, die durch den IS gefoltert und ermordet wurden, als Opfer der Menschenrechtsverstöße und -verletzungen zu bezeichnen sind.
Ist es nicht insbesondere auch Aufgabe aller Menschen in den westlichen Staaten, aus denen teilweise sogar Minderjährige ausreisen, um Teil des Dschihad zu sein, der in Propagandavideos des IS nahezu als großer Spaß beworben wird und den Jugendlichen und jungen Erwachsenen insbesondere Zusammenhalt und Perspektive vorgaukelt, Ausgrenzung, Ausweg-, Arbeits- und Perspektivlosigkeit mit entsprechenden Maßnahmen entschieden entgegenzuwirken?
Brauchen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht mehr Unterstützung, um insbesondere auch zu erkennen, dass sie in ihren Heimatstaaten eine Zukunft haben, die nicht von Leid – und sei es seelischem – geprägt ist?
Ich sage ja, das brauchen sie – und genau deshalb sind diese jungen Menschen, die zum Islam konvertieren, alles hinter sich lassen, nur um eine Perspektive zu haben, genauso Opfer des IS.
Hat man den IS jahrelang seit 2003 agieren lassen, ihn bestenfalls toleriert und vermutlich gar als mehr oder minder ungefährlich eingestuft, so entfachte schlussendlich Mitte diesen Jahres eine Diskussion über diese Terrororganisation, nachdem sie begann, sich ihren Weg blutig freizukämpfen – spätestens die IS-Offensive in Mossul Anfang Juni 2014 lehrte den Westen die Gefährlichkeit des IS.
Nun scheint guter Rat teuer: Soll man den IS gewähren lassen, den Menschenrechtsverbrechen einfach so aus der Ferne zuschauen, das Leid und Elend der Menschen ohne Regung über uns ergehen lassen?
Können wir einerseits Völkerrechtsverbrechen dulden, andererseits entschieden die Annexion der Krim verurteilen?
Ist eine Gruppe Menschen schützenswerter als eine andere?
Die gefährliche Ausbreitung des IS stellt uns vor viele Fragen – ideologische, moralische, sicherheits- und verteidigungs- sowie außenpolitische Fragen, militärische und nicht zuletzt auch ethische Fragen.
Es mag Gründe für das Verhalten des türkischen Regierungschefs Erdogan geben, erst spät die Grenzen für Unterstützer der Kurden in Kobane zu öffnen.
Natürlich stellt sich die Frage, ob eine frühere Grenzöffnung Kobane geholfen hätte – die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten. Eine Grenzöffnung kann nie zuverlässig ausschließen, dass nicht auch weitere Befürworter der IS in das umkämpfte Gebiet gelangen.
Was unerlässlich ist, ist humanitäre Hilfe für die Menschen, die aus den IS-besetzten Gebieten fliehen mussten und müssen.
Wir alle sind dazu aufgerufen, diesen Menschen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Die Türkei kann zusätzliche Fluchtkorridore errichten, in denen es Flüchtlingslager mit medizinischer Versorgung geben sollte.
Waffenlieferungen an die Kurden können und dürfen nicht die einzige Antwort deutscher Politikerinnen und Politiker auf die Frage sein, wie wir den IS stoppen können.
Die Unmengen an Waffen und Munition, die die Bundesrepublik in das Krisengebiet schickt, sind tickende Zeitbomben.
Quelle: Spiegel.de
Zum einen ist fraglich, ob die Menschen vor Ort mit all den, teils auch komplexen Waffensystemen umgehen können, wenn Bundeswehrsoldaten daran wochenlang geschult werden (müssen). Zum anderen muss damit gerechnet werden, dass das Arsenal früher oder später in die falschen Hände gerät. Meines Erachtens reichen strategische Luftangriffe nicht aus, um den IS wirklich empfindlich zu treffen.
Auch wenn das kaum jemand hören möchte: Nur eine Bodenoffensive mit entsprechendem Personal- und Materialaufwand kann den IS zerschlagen.
Grundsätzlich ist ein militärischer Eingriff von außen in Staatsgefüge, die vielleicht nicht der westlichen Vorstellung entsprechen, kritisch zu sehen – so beispielsweise ist auch der Afghanistan-Einsatz spätestens bei heutigem Kenntnisstand kritisch zu hinterfragen.
Da es sich bei dem Vormarsch der IS allerdings um den Versuch eines Genozid handelt, der mit allen Mitteln zu unterbinden ist, müssen auch andere Mittel der Gegenwehr eingesetzt werden.
Gewalt und Waffeneinsatz sind keine Lösung – Zusehen allerdings auch nicht.
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