Rudolph Bauer: Frieden als Bewusstseinsbildung und konsequenter Antimilitarismus

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by Holger Platta, Kommentar von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.. Anbei die Rezension zu den Flugschriftgedichten von Prof. Dr. Rudolph Bauer, den wir vor wenigen Tagen über Krieg und Frieden interviewt hatten. ProMosaik e.V. ist der Überzeugung, dass die Lyrik eine wesentliche Ausdrucksform ist, um das Leid des Krieges, die Tragödie des Militarismus und des Kolonialismus der heutigen Zeit zur Sprache zu bringen. Bedauerlicherweise sind Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Folter eine Konstante der menschlichen Geschichte und Gesellschaft. Gegen diese negativen Formen des menschlichen Zusammenlebens, gegen diese Antigesellschaft und Antimenschlichkeit erheben wir uns Tag für Tag mit unserer bescheidenen Arbeit. Möchte nun Herrn Platta das Wort übergeben. Er beschreibt in diesen Zeilen treffender denn je das lyrische Werk von Prof. Dr. Bauer. – Jeder, der sich in der bundesdeutschen Literaturszene auskennt, weiß: politische Lyrik ist out. Literatur dieser Art ist für die großen Verlage ein Rücksende-Umschlag. Der Marktwert dieser Texte tendiert gegen Null.
 
 
Aber auch der Gebrauchswert? Auch die Qualität?
 
 
 Der Autor Rudolph Bauer, vormals Politologe an der Bremer Universität, tritt den Gegenbeweis an – und mit ihm der Sujet-Verlag, der nunmehr den dritten Lyrikband von Bauer veröffentlicht hat: “Flugschriftgedichte“. Die Veröffentlichung zeigt: Lyrik ist brauchbar, für Alltag und Politik, fürs Wahrnehmen und fürs Verstehen, und sie kann dennoch Lyrik bleiben und gerade deswegen Lyrik. Ausgezeichnete Lyrik sogar!
 
 
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Selbstverständlich für einen engagierten Autor: Bauers Texte befassen sich mit politischen Themen, mit Militarismus und Überwachungsstaat, mit neonazistischen Tendenzen und sogenannter Terrorismusbekämpfung, mit neuen kolonialistischen Prozessen und Demokratieabbau. Aber: sie tun dies nicht im Politiker- und Zeitungsjargon, nicht im obligaten Marxistenslang oder im Propagandastil, sondern mit poetischen Mitteln. Und diese poetischen Mittel stellen etwas her, das dem allgemeinen Mediengebrabbel geradezu magisch ein Ende setzt: Stille. Genauer gesagt: Verlangsamung, Innehalten und Konzentration. Und damit vollzieht sich in den Gedichten wie beim Leser ein Prozeß, der von Tag zu Tag wichtiger wird: wieder präzise zu werden bei der eigenen Wahrnehmung und Analyse von gesellschaftlich-politischer Wirklichkeit. Ein Beispiel:
 
 
Bauer zitiert in einem Gedicht aus der Ansprache des reaktionären Generals von Lettow-Vorbeck 1932 zur Einweihung des Reichskolonialdenkmals zu Bremen, und Bauer tut über viele Zeilen kaum mehr, als daß er immer mal wieder ein „sagte er“ einfügt:
 
 
wieder krieg
 
 
 
            „ein großes volk
                                      sagte er
                         muss kolonien haben
                         um leben zu können
 
            ein großes volk
                                    sagte er
                        treibt kolonialpolitik
                        um seiner selbst willen
 
            nicht nur um kultur
                                   sagte er <…>“
 
 
Wenig genug, dieses „sagte er“, könnte man meinen, doch dieses „sagte er“ sitzt! Genau
dieses „sagte er“ bremst die arglose Hinnahme des Redetextes, ist deshalb das Stopp-Signal, und schafft jenen Abstand, der genauer hinhören läßt. Das muß man erstmal können!
 
 
In anderen Gedichten treten weitere Gestaltungsmittel hinzu, bis in die Tiefenstruktur der Texte hinein. „Schwarzer Sonnengesang“ zum Beispiel:
 
 
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            „dich umkreist der planet
            aufgehst du bei allen völkern
            am morgen dein licht
            erwacht in ihrem osten
 
            aufgehst du bei allen völkern
            nicht bei den gefolterten
            wo es nacht ist und schwarz
            rechtlos willkür und qual
 
            nicht bei den gefolterten
            wo die erde nass ist von tränen
            feucht vom blut matschig vom kot
            wo deine strahlen nicht trocknen
 
            wo die erde nass ist von tränen
            <:::>“
 
 

 

Hier folgt der Gang der Strophen nicht nur dem Gang der Sonne, indem er mehr und mehr schwarze Realitäten auf diesem Planeten ans Licht bringt. Hier bildet die interne Strophengliederung auch den Gang der Sonne selber ab, indem die jeweils zweite Zeile einer Strophe zur ersten Zeile der Folgestrophe wird. So holt die Sonne fortschreitend das Dunkel auf der Erde hervor, indem es die zutagetretende Wahrheit nach vorne rückt. Meisterhaft!
 
 
Und schließlich: auch die ganz kurzen Formen, zum Beispiel den Aphorismus, beherrscht Bauer perfekt: „Deal // brot für diewelt / saatgutpatente für die konzerne / ein lob gerechter verteilung“. Ein guter Aphorismus ist Endpunkt eines langen Gedankenganges, ein sehr guter Aphorismus Anfang eines neuen. Dieser Aphorismus ist beides. So kann auch das Kleine großartig sein. Die „Flugschriftgedichte“ von Rudolph Bauer sind unentbehrlich fürs ideologiekritische Innehalten – – – um dann weiterzumachen: informierter und wacher als ohne sie, wahrnehmungsbereiter und präziser als zuvor.
Gratulation!
 

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